Rubato

Nitsch und seine Musik.

20. Oktober 2023, 11:00 Uhr

(c) Andreas Leisser

Anlässlich des 85. Geburtstags des Universalkünstlers Hermann Nitsch stellt das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich am Dienstag, 31. Oktober 2023, unter der Leitung des jungen österreichischen Dirigenten Patrick Hahn die 9. Sinfonie von Hermann Nitsch, «Die Ägyptische», den Werken seiner musikalischen Vorbilder im Großen Saal des Musikvereins gegenüber. Erstmals wird ein musikalisches Werk von Nitsch im Musikverein aufgeführt, ein lang gehegter Wunsch des Künstlers, der nun posthum in Erfüllung geht.

Chefredakteur Christoph Wellner hat mit Dirigent Patrick Hahn und Michael Karrer (künstlerischer Leiter des Nitsch Museums) gesprochen und präsentiert Ausschnitte aus dem Konzertprogramm.

Hermann Nitsch, der im April 2022 gestorben ist, war nicht nur weltberühmter Aktionist, Maler, Philosoph und Zeichner: Er war auch Komponist. Schon in den 1960er-Jahren spielte die Musik eine fundamentale Rolle in seinem Gesamtkunstwerk. Nitschs Kompositionen wurzeln im Schrei als vorsprachlichem Ausdruck dionysischer Ekstase. Weitere starke Einflüsse finden sich bei John Cage, Anton Webern, Richard Wagner und Alexander Skrjabin. Die Musik des «Orgien Mysterien Theater» hat für den Künstler in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Instrumentale Zusammensetzung, Dauer und Intensität der Kompositionen wurden ebenso wie die Handlungsabläufe der Aktionen in Form von Partituren akribisch auf Millimeterpapier festgehalten.

Die Musik von Nitsch

Das kompositorische Werk von Nitsch ist äußerst umfangreich und umfasst nicht nur Aktionsmusik, sondern auch Orchester-, Ensemble-, Harmonium-, Orgel- und Klavierwerke. Bisher blieb es von der Musikwissenschaft nahezu unbeachtet.

Schon früh wollte Nitsch Klänge in seine Aktionen einbeziehen, er fand dafür aber keine geeignete Musik. So erfand er eine graphische Notation auf Millimeterpapier, die sich perfekt zur Verwirklichung seiner amorphen Klangvorstellungen eignete. Zuerst begann Nitsch „primitive“ Klangereignisse (Schreichöre und Lärmorchester) in seine Aktionen einzubeziehen, liegt doch für ihn der Ursprung der Musik im Schrei und im Lärm. Kein anderer als Nitsch selbst hätte die geeignete Musik für sein „Orgien Mysterien Theater“ komponieren können, die dem Geist seines dionysischen Gesamtkunstwerks entspricht. Mit seiner graphischen Notation bestimmt er meistens nur die Klangfarbe, die Dauer der ausgehaltenen Töne, die Lautstärke und die Dichte, keine weiteren Details.

Nitschs Musik ist nie bloß illustrativ oder funktionell, sondern stimulierend. Die Aktion aktiviert die Musik, die Musik intensiviert die Aktion. So entstand eine aus weiträumigen Klangflächen bestehende Musik mit überwältigender Wirkung auf die Zuhörerschaft. Die tragisch wollüstige Musik Nitschs ist vor allem eine Klangfarbenmusik – eine Musik von großen Farbenkontrasten, vom Dunkelsten zum Hellsten, vom Dichtesten zum Transparentesten, eine Musik, die Extremzustände vermittelt.

Die typische Besetzung für Nitschs Aktionsmusik: Trillerpfeifen, Ratschen, Flöten, Schlaginstrumente und Bläsergruppen. Dazu wird an bestimmten Momenten fröhliche Volksmusik (Ländler, Schrammelmusik, Schuhplattler et cetera) eingebaut. Ein ausgehaltener Orgelton schwebt ständig durch den Raum.

„Meine Musik verwendet lange, langgezogene Klänge, sie verwendet Tonblöcke, Anordnungen von Clustern, dröhnende Strukturen von Tutti, tonal und dissonant, bis hin zu Überlagerungen von Geräuschen. Alles, was mein Orchester mit seinen Streichern, Holzbläsern, Blechblasinstrumenten und Synthesizern leisten kann.“