Rezensionen

Debüt in Frankreich.

29. April 2023, 08:45 Uhr

Die dreiaktige Oper Káťa Kabanová von Leoš Janáček wird zurzeit oft gespielt. Letztes Jahr bei den Salzburger Festspielen, aktuell an der Grazer Oper. Die tragische Titelheldin Káťa verkörpert in Lyon die amerikanische Sopranistin Corinne Winters. Káťa Kabanová ist ihre Paraderolle – bei den Salzburger Festspielen, in Genf, Stuttgart, Rom, Valencia - gestern an der Opéra de Lyon. Eine durch Künstlerinnen geprägte Produktion. Am Pult Elena Schwarz, Regie Barbara Wysocka, Bühne Barbara Hanicka, Kostüme Julia Kornicka. Musikchefin Ursula Magnes berichtet aus Lyon, wo frühlingshafte Temperaturen zum Flanieren einluden.

Seit Stanisław Moniuszkos Oper Halka 2019 am Theater an der Wien weiß das Wiener Publikum, dass die amerikanische Sopranistin Corinne Winters eine famose Künstlerin ist. Die Rolle der Káťa Kabanová von Leoš Janáček ist ihrer derzeitigen Stimme auf den Leib geschrieben. Noch dazu verkörpert sie auf der Bühne ein elfenhaft leichtes Wesen. Für die Rolle hat sie auch eigens Tschechisch gelernt. Corinne Winters hält das Stück und auch, ja, die Inszenierung zusammen. Adäquat für ihr Frankreich-Debüt an der Operá de Lyon.

Vorab angepriesen als eine Produktion mit einem weiblichen Leading-Team war ich ehrlich gesagt ziemlich neugierig welche Sicht auf das Stück mich erwartet. Auf die literarische Vorlage „Der Sturm“ von Alexander Ostrowski. Wo die alte russische Welt auf das ferne Moskau, auf eine ausbrechende Frau und eine alles beherrschende Mutter trifft. Und wo die Natur den Freiheitsgedanken verkörpert, die Titelheldin im Inneren aus- und zerbricht. Káťa, die nie wirklich in ihr Setting gepasst hat und schließlich daran stirbt.

Die künstlerisch Verantwortlichen legen es nüchtern an. Von der gewaltigen Poesie dieses Stückes bleibt wenig zu erkennen. Das Einheitsbühnenbild zeigt einen einsichtigen Plattenbau, wie er noch heute in Brünn zu finden sein wird. Drei Stockwerke, in der Mitte ein Stiegenhaus. Kein Wald, kein Garten, keine Kirche – die Gesellschaft eines kleinen russischen Dorfes ist im Sozialwohnbau gestrandet. Wer die Geschichte nicht kennt, darf rätseln.

Die pochend aufwallende Musik von Leoš Janáček ist bei Dirigentin Elena Schwarz in guten Händen, wobei man bei der fehlenden Akustik nicht genau abschätzen kann, wie sehr sie an den Klangblöcken und der rhythmischen Finesse gearbeitet hat. Ein Eindruck bleibt stark und nachhaltig: die völlige Klarheit der Sängerinnen und Sänger; fast als wäre es ein Theaterstück geblieben. Was wiederum für die Musik von Leoš Janáček spricht, die in die Seelen der einzelnen Protagonisten einstürmt. Mit diesen musikalischen Charakterstudien gibt es kein Entkommen. Auch nicht, wenn der Blick auf die Bühne und die Kostüme mit der Zeit langweilt. Wer das Stück schon gesehen hat, bleibt im Vorteil.

Schon zu Beginn der Inszenierung wird die tote Káťa betrauert. Und am Ende steht sie auf und geht selbstbewusst von der Bühne ab. Streift ihre Geschichte der familiär, gesellschaftlichen Unterdrückung leichtfüßig wie einen zu schweren Mantel ab. Ein Statement der polnischen Regisseurin Barbara Wysocka. Der artifiziell durch hereinwucherndes Grünzeug angezeigte Sturm verursachte nicht nur bei meiner Sitznachbarin leichtes Kopfschütteln. "Sturm, der Sturm bitte." Das, was er auslöst und verkörpert, das bleibt auf der Strecke. Trotzdem: Corinne Winters als Káťa Kabanová singt und spielt bei ihrem Debüt in Frankreich einmal mehr beeindruckend. Das sympathische Publikum in Lyon war begeistert. Jung, interessiert und insofern anregend, dass Oper in Lyon wirklich Mitten in der Stadt stattfindet.

© Ursula Magnes