Rezensionen

Der ferne Klang in Prag.

21. März 2022, 08:15 Uhr

Die tschechisch-deutsche Initiative Musica non grata bemüht sich, eben diese wieder auf die Spielpläne zu bringen. Musica non grata, in der Vergangenheit unter anderem von den Nationalsozialisten unerwünschte Musik. Gestern hatte in diesem Zyklus am ehemals Neuen Deutschen Theater in Prag Franz Schrekers Oper „Der ferne Klang“ Premiere. Musikchefin Ursula Magnes hat sich mit dem Zug nach Prag aufgemacht und berichtet über den gestrigen Abend.

 

Die Oper „Der ferne Klang“ von Franz Schreker ist eine Ikone der Musik des 20. Jahrhunderts. Ein Meilenstein am Weg in die Moderne. Die Uraufführung 1912 in Frankfurt/Main brachte Franz Schreker den internationalen Durchbruch. Seine erfolgreiche Berliner Karriere als Lehrer zahlreicher, heute prominenter Schüler, ist von den Nationalsozialisten unterbunden worden. Im schleichend totalitären System war Schreker unerwünscht. Eine schmerzliche Lücke, die erst ein in den 1970er-Jahren abgehaltener musikwissenschaftlicher Kongress in Graz, mit einer langsam einsetzenden Schreker-Renaissance schloss. Zuletzt gab es 2015 den „Fernen Klang“ an der Grazer Oper zu erleben.

Am 20. Mai 1920 war es Alexander von Zemlinsky, der die Musik seines Freundes Franz Schreker „Zum Besten des Deutschen Theatervereins“ in Prag herausbrachte. Die aktuelle Fassung für die gestrige Premiere stammt vom jungen russischen Regisseur Timofey Kulyabin und dem Dramaturgen Ilya Kuharenko. Die drei Akte lassen mit zwei Pausen auch Zeit für genügend frische Luft.

Der Inhalt der Oper „Der ferne Klang“, für die Franz Schreker wie für die meisten seiner Opern, das Libretto selbst verfasste, dreht sich um den Komponisten Fritz und seine Geliebte Grete. Er verlässt sie auf der Suche nach dem reinen, perfekten Klang. Gretes Vater wiederum verspielt Grete im Rausch an den Wirt. Sie flieht zutiefst gekränkt. Als berühmte Kurtisane begegnet Grete Jahre später Fritz erneut. Er wirbt mit einem Lied um sie. Als Fritz erkennt, was aus ihr geworden ist, wendet er sich mit Schrecken ab. Im 3. Akt fällt seine Oper „Die Harfe“ durch. Grete sucht ihn auf, doch ist es zu spät. Fritz stirbt aus Erschöpfung in ihren Armen. 

Regisseur Timofey Kulyabin lässt die Oper in einer modernen europäischen Stadt spielen. Fritz ist ein ambitionierter Kompositionsprofessor und Grete ein junges Mädchen, seine Studentin und Geliebte. Es geht dem Regisseur weniger um das Bild des Fernen Klanges als vielmehr um das Recht der Frau auf Selbstverwirklichung und das Recht ihre Talente zu leben.

Franz Schrekers Musik ist so überbordend prall an Klängen, dass sie auch ohne Worte auskommen würde. So findet in der Musik statt, was sich auf der Bühne kaum als Erlebniszauber wiederfindet. Die Kluft zwischen dem Unbewussten des „Fernen Klanges“ und einer Geschichte der Geschlechter, die in ihren gesellschaftlichen Rollenbildern stecken, schließt sich nicht. Dafür sind Timofey Kulyabin keine entsprechenden Bilder eingefallen. Lediglich das stumme Double der Grete lässt etwas an innerer Bewegung aufkommen. Bis zum Schluss bleibt jegliches Geschehen auf Distanz: ob im Wirtshaus, im Dark-Room des Freudenhauses oder im Künstlerzimmer des Komponisten. Grete geht relativ ungerührt wieder weg. Wäre spannend zu sehen, wohin sie das Leben nach den Machenschaften des Vaters und Fritz wiederholter Ablehnung führt.

Die Partien der Grete und des Fritz sind äußerst fordernd. Svetlana Aksenova als Grete und Aleš Briscein als Fritz, der gestern sein Rollendebüt feierte, kamen stimmlich hörbar an ihre Grenzen. Dirigent Karl-Heinz Steffens hatte ebenfalls Mühe den Klangzauber Schrekers so zu balancieren, dass die Sängerinnen und Sänger zumindest eine Chance hätten, über den rieisgen Orchestergraben hinwegzukommen.

Fazit: Franz Schrekers Oper „Der ferne Klang“ in Prag zu sehen und hören, an dem Haus, wo Alexander Zemlinksy einst wirkte, ist und bleibt ein Erlebnis für sich. (um)