Rezensionen

Die Traviata aus Paris.

8. März 2021, 08:15 Uhr

Am Sonntag, 7. März 2021, hatte an der Wiener Staatsoper Giuseppe Verdis Erfolgsoper „La Traviata“ in der Inszenierung von Simon Stone Premiere. Mit Spannung erwartete man die Verlegung der Handlung in die Gegenwart. Die Aufführung fand ohne Publikum statt. Im Live-Streaming und auf ORF III konnte man dabei sein. Unser Opernliebhaber Richard Schmitz hat sich im Rahmen seiner Sendereihe Per Opera ad Astra intensiv mit diesem Werk beschäftigt. Anbei seine Eindrücke vor dem Fernsehapparat:

Giusepe Verdi hat ja ein Gegenwartsstück geschrieben. Der tragische Tod der Kurtisane Alphonse Duplessis von Alexander Dumas in seinem Roman „Die Kameliendame“ beschrieben, lag 1852 erst wenige Jahre zurück. Da sich die Probleme nicht geändert haben, kann man sie durchaus in unserer Zeit verankern. Und das ist auch gelungen. Bestechend ist der Gedanke die Traviata an Krebs sterben zu lassen. Da versiegt der Spott über den langsamen Tod einer Lungenkranken. Da gerät der 3. Akt besonders logisch und berührend. Pretty Yende gestaltet die Todgeweihte überzeugend und erschütternd, bevor sie zwischen zwei drohenden Wänden in eine lichte Welt entschwindet. Einfach genial. Die Sängerin bewältigt diese anspruchsvolle Partie mit Bravour. Im ersten Akt noch das umschwärmte IT-Girl, dann die bedingungslos Liebende. Warum sie Alfred auf einen Bauernhof mit Scheibtruhen und Traktor entführt, bleibt allerdings zweifelhaft, auch wie da die enorme Schuldsumme entstanden sein soll, ist rätselhaft. Die Mahnschreiben der Bank werden jedenfalls riesig projiziert. Ebenso, dass ein Saudi-Prinz die Verlobung mit Alfredos Schwester gelöst hat. Das lenkt allzu sehr von der großen Auseinandersetzung zwischen Violetta und dem alten Germont ab. Diese Schlüsselszene sollte man Wort für Wort verfolgen, damit man die großherzige Entsagung Violettas versteht. Da hat der Textdichter Francesco Maria Piave einen psychologischen Text geschrieben, der es in sich hat. Igor Golovatenko läuft vor allem da zu großer Form auf. Intensiv singt auch Juan Diego Flórez den Alfredo, durchaus auf Augenhöhe mit der überragenden Pretty Yende. Detail im Zentrum: es gelingt ihm auch die Sektflasche rechtzeitig vor dem Brindisi zu öffnen.

Doch zurück zur Inszenierung: Der erste Akt spielt durchaus librettogerecht im Seitenblicke-Milieu, die Freundin Flora erinnert an Birgit Sarata. Ihr Fest ist ein Maskenball mit teilweise ungustiösen Kostümen, das ist nicht mehr demi-monde eher schon Souterrain.  Auch dass Violetta in Strumpfhosen und Stiefeln durch den Bauernhof rennt, befremdet. Das Bühnenbild ist sparsam und gibt Gelegenheit mit Projektionen, Parfumwerbung, Text und Bildnachrichten von den Leistungen der Sängerinnen und Sänger abzulenken. Beim nächsten Wechsel der Protagonistinnen und Protagonisten ist wohl ein ausgiebiges Foto-Shooting notwendig. Wir Zuschauer verstehen schon, dass Violetta sich nach Alfred sehnt, da braucht man keine Nachhilfe. Natürlich gibt es wieder das obligate Auto auf der Bühne.

Aber vielleicht hören wir mehr auf die Musik, wenn wir uns an die Projektionen gewöhnt haben. Da braucht man dann aber auch einen Dirigenten, der mehr auf Details schaut und dabei auch eine eigene Interpretation entwickelt.

Ein gelungener Abend. Schaun wir, wie er sich im Repertoire bewährt.

Wertnote: 8,5/10 Punkten.

Rezension der Pariser Aufführung: [mehr]

© Wiener Staatsoper, Michael Pöhn