Rezensionen

Eine neue West Side Story.

28. Januar 2024, 08:15 Uhr

Ensemble West Side Story
© Marco Sommer/Volksoper Wien

Marcel Prawy hatte Leonard Bernsteins Musical West Side Story 1968 an die Wiener Volksoper gebracht. Gestern gab es die vierte Neuinszenierung am Haus. Der radio klassik Stephansdom Opernexperte Richard Schmitz berichtet.

Diese West Side Story könnte ebenfalls zu einem Renner werden. Die Prinzipalin Lotte de Beer hat das Werk ohne Firlefanz und ohne krampfhafte Aktualisierung inszeniert. Die Verlegung des Shakespeare-Dramas „Romeo und Julia“ in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts war schon bei der New Yorker Uraufführung nicht unumstritten. Trotzdem wurde sie zum großen Erfolg. Lotte de Beer setzt die Tradition der Prawy-Produktion fort und lässt Englisch singen und Deutsch sprechen. Skurril ist, dass das Display die jeweils andere Sprache zeigt.

Aktualisiert wird dezent und deshalb umso wirkungsvoller. Der Konflikt zwischen den beiden jugendlichen Banden wird trefflich geschildert. Schon in den ersten Tanzszenen erkennt man den Unterschied zwischen den ansässigen Amerikanern und den zugewanderten Puerto-Ricanern. Die Szene, in der die Jugendlichen den Polizeiinspektor Krupke parodieren, enthält eine beklemmende Aktualität. Man wird mit der amerikanischen Polizei und den  Rechtfertigungen für kriminelles Verhalten konfrontiert. Die tänzerische Umsetzung des Geschehens durch die Choreographie von Bryan Arias ist beeindruckend, weil nie der Eindruck entsteht, dass Hass und Aggression nur tanzend quasi spielerisch sind. Die im Untergrund grummelnde Wut bleibt spürbar. Dazu trägt auch das gesamte Ensemble bei, das von Jorine von Beek im 50er Jahre-Look eingekleidet wurde und mit Bewegungsfreude und exaktem stimmlichen Einsatz bei der Sache ist.

Zu allererst ist da die Maria von Joye Simmons zu nennen! Anton Zetterholm als Tony kann da nicht ganz mithalten. Alle Sängerinnen und Sänger einzeln mit ihren Leistungen zu würdigen, sprengt den Rahmen meiner Drei-Minuten-Kritik. Auch die Sprechrollen der Erwachsenen sind am Erfolg maßgeblich beteiligt. Ben Glassberg leitet das Orchester der Volksoper mit großer Umsicht, das ja diesen Stil der Musik nicht gewöhnt ist. Manche Synkope könnte prägnanter klingen.  

Das Publikum war begeistert, auch Lotte de Beers Regie wurde gefeiert. Jetzt hat die Volksoper eine herausragende Musical-Produktion.

Zu Abschluss eine Bemerkung: Es war schön, dass man Candide in einigen exzellenten Aufführungen erleben durfte. Es ist noch schöner, dass die West Side Story länger im Repertoire zu hören sein wird. Sie ist das wesentlich wichtigere Opus von Leonard Bernstein.

Wertnote: 8,3 /10 Punkten