Rezensionen

Faust von Gounod.

30. April 2021, 08:20 Uhr

Gestern hatte in der Wiener Staatsoper Charles Gounods Oper Faust Streaming-Premiere. Die Inszenierung von Frank Castorf aus dem Jahr 2016, neu für die Staatsoper überarbeitet, wurde mit Spannung erwartet. Mit dem Publikumsliebling Juan Diego Flórez in der Titelrolle. Unser Opernliebhaber Richard Schmitz war bei der Aufnahme live dabei.

Charles Gounods „Faust“ ist ein bedeutendes Werk der französischen Opernkunst. Neben  „Roméo et Juliette“ gehört sie zu den meistgespielten Opern des Repertoires an fast allen Opernhäusern der Welt. Von Johann Wolfgang von Goethe bleibt allerdings nur die Handlung übrig. Das Tiefgründige des deutschen Dichters fällt hier unter den Tisch. Der bekannte Regisseur Frank Castorf verlegt die Handlung aus dem Mittelalter ins Paris der 1960er-Jahre. Es entstand eine packende präzise Interpretation, weil der Algerienkrieg den militärischen Szenen einen logischen Hintergrund gibt. Die Drehbühne von Aleksandar Denić ermöglicht viele stimmungsvolle Bilder.

Marguerite ist hier nicht das blutjunge naive Mädchen, sondern eine reife, anfangs durchaus selbstbewusste Frau. Nicole Car singt die Partie mit starkem Ausdruck und strahlender Stimme. Handkameras verfolgen die Protagonistinnen und Protagonisten auch in intime kleine Bereiche, Zimmer oder Galerien. Ausnahmsweise muss man hier Tobias Dusche und Daniel Keller nennen, die für Live-Kamera und Bildgestaltung zuständig waren. Großartig, wie jedes Detail der genauen Personenführung auf Leinwänden zur Geltung kommt. Eine Herausforderung an alle Sängerinnen und Sänger, vor allem für ihre Mimik.  Adam Palka gab einen dämonischen Méphistopélès und brillierte im „Rondo“ und beim „Ständchen“, die ja beide nicht leicht zu singen sind. Er durfte auf Hufen gehen! Auch das wurde in Großaufnahme live gezeigt. Auch Étienne Dupuis ist ein hervorragender Valentin, der in der Sterbeszene berührt. Der jugendliche Siébel wurde für einen Sopran komponiert. Diesmal ist es eine unerfüllte lesbische Liebe und bekommt dadurch viel mehr Glaubwürdigkeit. Kate Lindsey ist schon fast eine Überbesetzung. Monika Bohinec als Marthe durfte auch sinnstiftende Poesie vortragen. Diese wunderbare Vorstellung, die von Bertrand de Billy mit französischen Ésprit geleitet wurde hat leider einen Schwachpunkt: und das ist der Titelheld. Möglicherweise hatte Juan Diego Flórez einen schlechten Tag. Seine Stimme kam einfach nicht über die Rampe.

Wahrscheinlich kommen die vielen Einzelheiten, Andeutungen und Symbole im Streaming und in der Fernsehwiedergabe noch besser heraus. Die Fülle der Ideen lenken manchmal sehr vom musikalischen Geschehen ab. Und das ist schade. Chor und Orchester der Staatsoper und das ganze Sängerensemble entsprechen den höchsten Anforderungen. Bertrand de Billy weiß, wie französische Musik klingen soll. Das Bedürfnis eine Aufführung wieder zu sehen und zu hören, habe ich nicht oft!

Wertnote: 8,9/10 Punkten.

© Staatsoper/Michael Pöhn: Juan Diego Flórez und Nicole Car als Faust und Marguerite.