Rezensionen

Irrelohe in Lyon.

20. März 2022, 09:20 Uhr

Gestern Abend hat die zweite Premiere des diesjährigen Opernfestivals in Lyon stattgefunden. Einer jener Opernabende, mit denen sich Michael Gmasz als Rezensent ein wenig schwergetan hat. Irrelohe, eine Oper von Franz Schreker aus den frühen 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, mit einer spannenden Geschichte, die Schreker selbst innerhalb weniger Tage zu Papier gebracht hat. Und einer saftigen Musik, die der Hollywood Ära jener Zeit auch alle Ehre gemacht hätte. Mehr dazu wieder frisch aus Lyon.

Thema des diesjährigen Opernfestivals in Lyon ist ja Familiengeheimnisse, und auch in Irrelohe dreht es sich, wie schon bei Rigoletto, um einen Familienfluch. Dieser lastet nämlich auf den Männern des Adelsgeschlechts auf Schloss Irrelohe. Jeder Mann hat einmal den Drang eine Frau zu vergewaltigen, und zwar direkt nach deren Hochzeit. Quasi als vom Fluch auferlegtes Jus primae noctis… Heinrich allerdings kämpft, von Familiendämonen verfolgt, dagegen an, vertieft sich in Bücher und offenbar auch in die Pflanzenzucht. Mit Peter stellt sich allerdings ein weiterer Nachfahre heraus, der als Sohn der „ehemals feschen“ Lola aus einer früheren Vergewaltigung hervorgegangen ist. Dazu kommt Christobald der eigentliche Bräutigam Lolas, der nach der Vergewaltigung verschwunden ist und nun 30 Jahre später plötzlich wieder auftaucht. 30 Jahre, in denen er sich zum Feuerteufel entwickelt hhat, denn nur durch das Feuer sind Reinheit und Ordnung wieder zu erreichen. Und dann ist da noch die junge Förstertochter Eva, die unschudige Reine. Sie will, all den überlieferten Irreloher Geschichten zum Trotz Heinrich heiraten. Es ist eine vertrackte Geschichte, die damit endet, dass das Schloss in Flammen steht, als in irrer Lohe (!). An sich würde das, durch die kathartische Wirkung des Feuers den Weg für eine gemeinsame Zukunft Evas und Heinrichs ebnen, doch nimmt sich Eva überraschend das Leben und lässt so das, trotz aller Tragik erwartete, happy end nicht zu.

Doch warum habe ich mir mit dem Opernabend schwergetan? Es liegt nicht an der Regie von David Bösch (bis auf den überraschenden Selbstmord Evas am Ende). Die Inszenierung ist düster, mit Dauernebel auf der Bühne, aber seine Personenführung ist gelungen, die Handlung wird, auch mithilfe von stummfilmartigen schwarzweiß Videoprojektionen, klar erzählt. Auf explizite Sex- und Gewaltdarstellungen verzichtet Bösch, auch wenn diese ob der Vergewaltigungsthematik naheliegen würden. Anders ist die Sache auf musikalischer Ebene. Altmeister Bernhard Kontarsky lässt sich von der saftigen und klanglich herausfordernden Partitur Schrekers zu sehr mitreißen. So groß sind manche Stimmen auf der Bühne nicht, dass sie auch nur annähernd eine Chance hätten, über den Graben zu kommen. Die Stimme von Lioba Braun als alte Lola z.B. trägt nicht mehr genug für eine solche Wucht an Orchestermusik. Auch unter den Männerstimmen sind einige für diese Art der Interpretation zu schwach. Positiv zu erwähnen ist allerdings Julian Orlishausen, der sowohl stimmlich als auch darstellerisch einen überzeugenden Peter gibt und der Tenor Tobias Hächler, der als gealterter „Draco Malfoy“ seinen Mann steht. Großer und strahlender Lichtblick des Abends ist aber die kanadische Sopranistin Ambur Braid, die als Förstertochter Eva in allen Belangen überzeugt. Sie hat eine große Stimme, die wir in Zukunft sicher des Öfteren hören werden. Eine erste Salome an ihrem Stammhaus in Frankfurt hat sie schon sehr erfolgreich abgeliefert. Im Großen und Ganzen ein Abend mit Längen, aber einer spätromantischen Musik, die gut und gerne, mit einigen Kürzungen, auch ohne die Gesangsstimmen auskommen würde. Dem Lyoner Publikum hats aber gefallen. (mg)