Rezensionen

Kaiserwetter ohne Kaiserwalzer

2. Januar 2023, 09:30 Uhr

Dieter Nagl, WPH
Dieter Nagl, WPH

Kaiserwetter in der einstigen Kaiserstadt – ohne Kaiserwalzer? Ja, geht das denn? Fast. So viel lässt sich nach dem Neujahrskonzert 2023 an einem strahlenden ersten Jänner-Vormittag sagen. Gleich zu Beginn wurde da flott gefragt: „Wer tanzt mit?“. Eine Polka Schnell-Premiere von Eduard Strauß zum Einstieg in ein Konzert, für das Dirigent Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker mutig vierzehn noch nie am Ersten gespielte Raritäten für fünfzehn offizielle Programmpunkte aus den Archiven gefischt haben. Ein Fressen für neugierige Feinspitze, mit Werken der drei Strauß-Brüder Johann, Josef und Eduard sowie deren Kollegen Franz von Suppè, Carl Michael Ziehrer und Josef Hellmesberger.

Dass mit dem Marsch für Radetzky von Johann Strauß Vater nicht dem einzigen Feldherren gehuldigt wurde, stellte an zweiter Stelle sogleich „Heldengedichte“ von Josef Strauß unter Beweis. Komponiert wurde der Walzer aus Anlass der Enthüllung eines Erzherzog Carl-Denkmals. Flott martialisch geht es da in Erinnerung an den Napoleon-Bezwingers in der Schlacht bei Aspern zur Sache, so wie auch Johann Strauß Sohn seinen „Zigeunerbaron“ in einer hübschen Quadrille wiederverwertete, und im rasanten Finale das Thema des Chors „Hurra, die Schlacht mitgemacht!“ elegant eingewirkt hat.

Ein temperamentsmäßig geradezu entfesselter Franz Welser-Möst legte sich bei seinem dritten Neujahrskonzert jedenfalls als überzeugender Anwalt für sein Raritätenprogramm ins Zeug. Er hat das alles fein und sensibel mit den Musikern einstudiert, die pracht- und lustvoll mitzogen.

Selbst wenn man diesmal auf so manche Vögel verzichten musste, etwa den Kuckuck „Im Krapfenwald’l“ von Johann Strauß Sohn, auf das fröhliche Tirilieren in seinen „Geschichten aus dem Wienerwald“ oder die geschwätzigen „Dorfschwalben aus Österreich“ vom Bruder Josef. Der hat dann doch noch das Käfigtürl für den einst so beliebten Zeisig in seinem zauberhaften „Zeisserln“-Walzer geöffnet. Eine der überzeugenderen Strauß-Novitäten, die im Goldenen Saal mit seinem in Flamingo-Rosa gehaltenen Blumenschmuck für Stimmung sorgten. Als besondere Entdeckung erwies sich ebenso Carl Michael Ziehrers in süßer Melodienseligkeit dahinziehender Walzer „In lauschiger Nacht“. Zum flinken Durchstarter nach der Pause gelang die Ouvertüre zu Franz von Suppès unbekannter Operette „Isabella“. Danach hatte Josef Strauß, der Sensible, Fragile der Strauß-Brüder, mit sieben Stücken seinen großen Auftritt. Der populärere Johann hatte ihn selbst als den „Begabteren von uns beiden“ bezeichnet, was eindrucksvoll seine grandios instrumentierte, den Tanzmusikrahmen weit in Richtung Tondichtung öffnende Orchesterfantasie „Allegro fantastique“ bewies. Die wohl schönste Überraschung des Vormittags. Wogegen sich seine „Perlen der Liebe“, ein komponiertes Hochzeitsgeschenk an seine Braut, dann schon ein wenig abgeklärt in der Liebesglut zeigten. Umso freudiger durfte man sich bei den Zugaben endlich an Bekanntem, wie dem rasanten „Banditengalopp“ und dem herrlich sensible zum Schwingen gebrachten „Donauwalzer“ erwärmen. So sehr, dass das höchstmotivierte Publikum beim Radetzkymarsch-Mitklatschen Orchester und Dirigent fast überholte. Denn trotz aller Neugier: Nach einer Silvester-Nacht hat man wohl gerne auch etwas Vertrautes an dem man sich anhalten kann. (sm)