Rezensionen

Le Grande Macabre.

12. November 2023, 08:59 Uhr

Sarah Aristidou (Chef der Gepopo/Venus), Georg Nigl (Nekrotzar), Gerhard Siegel (Piet vom Fass)
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

György Ligetis Oper „Le Grand Macabre“ kam gestern an der Wiener Staatsoper zur Erstaufführung. Diese Anti-Anti-Oper über den Weltuntergang war mit Spannung erwartet worden. radio klassik Stephansdom Opernexperte Richard Schmitz war dabei.

Wie erwartet fand der Weltuntergang nicht statt. Im Gegenteil, es war eher die Geburtsstunde der Opernbegeisterung für moderne Werke. Jubelstürme für alle Beteiligten. Nicht nur der erfreulich junge Stehplatz tobte, auch Parterre und Galerie stimmten da ein. Da war nicht mehr die zögernde, pflichtbewusste Zustimmung zu moderner Musik, da war empathische Zustimmung. György Ligeti konnte seinen Erfolg bei den Salzburger Festspielen zu einem Triumph ausbauen. Die Musikgeschichte kann froh sein, dass der erfolgreichste Komponist des ausgehenden 20. Jahrhunderts auch eine Oper geschrieben und dann komponiert hat. Diese Anti-Anti-Oper ist ein Plädoyer  für das Überleben der Kunstgattung Oper. Die Wiener Staatsoper hätte nicht auf den hundertsten Geburtstag des Komponisten warten müssen. Seine Musik ist nicht atonal, kehrt aber auch nicht zur Tonalität zurück, sie nähert sich der Pop-Art.

Gestern wurde „Le Grand Macabre“ als Gesamtkunstwerk präsentiert: originelle Musik, virtuoser Gesang, malerische und architektonische Bühnengestaltung mit zahlreichen Anspielungen an Breughel-Bilder, exzeptionelle Tanzdarbietungen bilden ein einheitliches Ganzes. Jan Lauwers arbeitet das Groteske und den Humor liebevoll heraus. Er hat keine Ambition belehrend und missionierend zu wirken. Da ist nichts verkrampft. Er enthält sich auch tagespolitischer Anspielungen, die durchaus nahliegend wären. Diese Lockerheit hat sich auch auf das gesamte Ensemble übertragen. Die Sänger haben sich freudig der Choreographie unterworfen, die neben Jan Lauwers auch von Paul Blackman verantwortet wurde. Dirigent Pablo Heras-Casado bringt die komplexe Partitur zum humorvollen Glühen. Georg Nigl war der zwielichtige Nekrotzar, der den Weltuntergang prophezeit, wie er Ligeti wohl vorgeschwebt haben mag. Gerhard Siegel war der Trunkenbold Piet vom Fass, Wolfgang Bankl war als Astradamors froh endlich Witwer zu sein, Marina Prudenskaya die unbefriedigte, sadistische Mescalina. Sarah Aristidou präsentierte als Venus und vor allem als Chef der Gepopo, der geheimen politischen Staatspolizei irrwitzige Koloraturen. Bei ihr hat sich die Kostümbildnerin Lot Lemm mit einem Riesenreifrock besonders ausgetobt. Der Counter Andrew Watts blieb dem Fürsten Gogo das Kindische schuldig. Das mit zwei Frauenstimmen besetzte Liebespaar, Maria Nazarova und Isabel Signoret, sorgte wohltönend für die Schlusspointe: „Fürchtet den Tod nicht gute Leut! Irgendwann kommt er, doch nicht heut, Und wenn er kommt, dann ist`s soweit...Lebt wohl solang in Heiterkeit!“

Der gestrige Abend hat bewiesen, dass man über die letzten Dinge des Lebens und den Tod lachen und trotzdem nachdenklich nach Hause gehen kann. Es war ein großer Opernabend, den zahlreichen Nekrotzaren der Gegenwart zum Besuch empfohlen. (RS)

Wertnote: 9,5/10 Punkten