Rezensionen

Wiener Blut in Ischl

10. Juli 2022, 09:50 Uhr

Ensemble: James Atkins, Sara Lynn Boyer, Nicolas Lugstein, Johanna Mucha, Astrid Nowak, Angelika Ratej
www.fotohofer.at

In Bad Ischl ist gestern die erste Premiere des heurigen Lehár-Festivals über die Bühne gegangen. Man gab Wiener Blut. Wie das im Salzkammergut angekommen ist, hat sich radio klassik Stephansdom-Kollegin Bernadette Spitzer angeschaut.

Vorneweg – es geht in Ischl völlig unblutig zu. Ensemble und Orchester feuern die Hits von Johann Strauss ins Publikum und spielen mit Hingabe und großem Können ihre Vielseitigkeit aus. Gerd Vogel etwa, der den Fürsten Ypsheim Gindelbach hinreißend komisch und mit großer Selbstironie  mimt, ist in Deutschland ein bekannter Wagner-Sänger. Ebenso originell ist Josef Forstner als Kagler. In deutlich verständlichem Wienerisch gibt der 74-jährige Kammersänger sympathisch den schrulligen Vater der Tänzerin Cagliari. Ein weiteres Original ist der Diener Josef, wunderbar outrierend dargestellt von Reinwald Kranner, den manche vielleicht einst als Mr. Banks in "Mary Poppins" im Wiener Ronacher gesehen haben.

Die drei Damen des Ensembles stehen dem um nichts nach. Sieglinde Feldhofer ist als Gräfin Gabriele der unbestrittene Star. Ihre Gegenspielerin in der Rolle der Tänzerin Franziska Cagliari ist Martina Fender. Die junge Tirolerin hat bereits mehrere Preise gewonnen und ist viel im ernsten Fach unterwegs: in Lied und Kirchenmusik. In Ischl lebt sie ihr schauspielerisch-komisches Talent aus. Und Marie-Luise Schottleitner als Probiermamsell reißt mit ihrem Temperament alle mit. Auch sie ist ein Allround-Talent, hat die gebürtige Wiener Neustädterin doch neben Gesang auch Tanz und Blockflöte studiert.

Warum die Herren des Tanzensembles in Damenkleidern auftreten und die Damen in Herrenkleidern, ist rätselhaft, ebenso wie das Setting. Die Operette spielt während des Wiener Kongresses 1814/15, wird aber von Intendant und Regisseur Thomas Enzinger um knapp 100 Jahre versetzt, denn der Ball im zweiten Akt wird zu einem Ball der Psychoanalytiker und das Kasino im dritten Akt zu einem Swinger-Club. Neben der Bühne beobachtet Sigmund Freud, dargestellt von Matthias Schuppli, stumm das Treiben. Ihm zur Seite steht der von seinem Denkmal im Wiener Stadtpark herabgestiegene Johann Strauss, der vom Tänzer Nabeel Fareed gegeben wird.

Am Schluss gibt’s ein Happy End in dieser bitterbösen Komödie, die sowohl die Praxis der unfreiwillig  geschlossenen Ehen als auch der selbstverständlich hinzunehmenden Untreue von Ehemännern kritisiert. Das Ehepaar verliebt sich ineinander, und auch die anderen Suchenden werden fündig. Das Wiener Blut wallt in Bad Ischl noch bis 28. August.

© Bernadette Spitzer