Rezensionen

Abschied mit Jenůfa.

20. Februar 2022, 09:45 Uhr

Gestern fand im Theater an der Wien endlich die verschobene Premiere von Leoš Janáčeks Oper „Jenůfa“ statt. Der radio klassik Stephansdom Opernexperte Richard Schmitz berichtet.

An diesem Abend war die Neugier zweifach gegeben. Einerseits war da die Frage: Wie gelingt Nina Stemme der Übergang ins Charakterfach ? Andererseits: Was bringt die Regie von Lotte de Beer? Sie wird ja ab Herbst die Geschicke der Wiener Volksoper leiten. Vorweg sei verraten: Das Publikum jubelte sowohl Nina Stemme als auch Lotte de Beer und ihrem Team ausgiebig zu.

Das Theater an der Wien spielt die Brünner Fassung aus dem Jahr 1908. Das ist gut so. Unsere Hörgewohnheiten haben sich geändert. Wir brauchen keine romantisch-harmonische Glättung mehr. „Jenůfa“ ist nicht zu Unrecht eine Tschechische Nationaloper, auch wenn sie eigentlich Mährisch ist. Aber diese Unterscheidung ist ohnehin verloren gegangen. Diese Oper ist eine der bedeutendsten des 20. Jahrhunderts. Das brachten das RSO Wien und der Arnold Schoenberg Chor prächtig zur Geltung. Dirigent Marc Albrecht hat Janáčeks Musik dramatisch und sensibel interpretiert. Die Feinheiten der Instrumentierung, das Violinsolo und die Bläser-Attacken wurden genau herausmodelliert. Nina Stemme hat den schwierigen Charakter der Kostolnička, der Küsterin, mit vollem stimmlichen Einsatz gestaltet. Das war wirklich ein gelungener Übergang in das Charakterfach. Die Küsterin diesmal nicht als Altersrollle. Erfreulicherweise wird Nina Stemme aber auch weiterhin in ihrem angestammten Repertoire zu hören sein. Svetlana Aksenova bestand neben dieser Urgewalt bravourös. Ihre Jenůfa zeigt die Entwicklung von der leichtlebigen jungen Frau zu einer gereiften Liebenden. Den beiden Liebhabern macht es Janáček nicht leicht. Sie haben kaum Gelegenheit zu stimmlicher Bravour. Pavol Breslik ist der überhebliche, egoistische Števa und Pavel Černoch der anfangs unterdrückte brutale, am Ende hingebend liebender Laca. Großmutter Stařenka war bei Hanna Schwarz gut aufgehoben. Das übrige Ensemble war bestens disponiert. Da gab es keine Schwachstelle.

Doch nun zur Regie von Lotte de Beer. Sie stellt das Stück in eine Rahmenhandlung. Die Küsterin träumt im Gefängnis die Handlung. Spätestens am Schluss der Oper wird dieser Trick zum Ereignis. Jenůfa verzeiht ihrer Stiefmutter den Kindesmord bei einem Besuch im Gefängnis. Auch das Erwachen der Liebe zu Laca danach wirkt viel logischer und nachvollziehbarer. Bisher war man immer etwas überrumpelt von diesen Entschlüssen vor versammelter Hochzeitsgesellschaft. Das wirkte immer aufgesetzt. Diese Inszenierung ist ein schönes Versprechen für die Volksoper und ein gelungener Abschied vom Theater an der Wien, bevor es renoviert wird.

Wertnote: 9,0/10 Punkten

© TAW/Herwig Prammer: Svetlana Aksenova (Jenůfa), Hanna Schwarz (Stařenka Buryjovka), Nina Stemme (Kostelnička Buryjovka, die Küsterin)