Rezensionen

Aida in Chemnitz.

22. April 2022, 08:15 Uhr

Entdeckungen garantiert: «Aida» in Chemnitz / Stephan Burianek, 25.04.2022

Im Osten Deutschlands hat sich eine lebendige Opernszene erhalten, von der man bei uns viel zu selten hört. Das meint zumindest Stephan Burianek, der derzeit durch Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt reist. In Chemnitz hat er kürzlich eine bemerkenswerte Premiere von Giuseppe Verdis „Aida“ besucht.

Die Opernhausdichte rund um Leipzig und Dresden ist immens: In Dessau, Erfurt, Weimar, Cottbus, Altenburg und Gera, um nur die markantesten Orte herauszugreifen, werden großteils noch der Ensemblegedanke und ein eigenes Repertoire gepflegt, außerdem gibt es immer wieder Raritäten zu erleben, wie derzeit in Halle an der Saale, wo man mit „Manru“ die einzige Oper des polnischen Komponisten Ignacy Jan Paderewski ausgegraben hat. Wenige Kilometer weiter, an der Oper Leipzig, werden innerhalb eines kurzen Zeitraums gerade alle 13 Bühnenwerke von Richard Wagner gespielt.

In Chemnitz, das mit dem Zug von Leipzig und Dresden jeweils in einer bequemen Stunde zu erreichen ist, hatte in der vergangenen Woche erstmals seit zwei Jahren wieder eine richtig große Oper ohne künstlerische Einschränkungen Premiere: „Aida“ von Giuseppe Verdi.

Der Generalmusikdirektor am Theater Chemnitz heißt seit bald fünf Jahren Guillermo García Calvo. Den Wienern ist dieser spanische Dirigent ein Begriff, immerhin leitete er an der Staatsoper bereits mehr als 200 Aufführungen. In Chemnitz steht ihm mit der Robert-Schumann-Philharmonie ein Orchester zur Verfügung, das während der „Aida“ mit einem exquisiten Klang quer durch alle Orchesterfarben begeisterte. Mit einer ungemein dynamischen Gestaltung und Rücksicht auf die Sänger und Sängerinnen erwies sich Calvo außerdem einmal mehr als Theatermann.

Für das Bühnenbild, die Kostüme und das Regiekonzept zeichnet das Duo Barbe & Doucet, bestehend aus Renaud Doucet und Andre Barbe, verantwortlich. Weil die Zusammenarbeit dieses Duos mit dem Theater Chemnitz vor Probenbeginn aus terminlichen Gründen beendet werden musste, setzte der Regisseur Ingolf Huhn die Inszenierung um. Sie nimmt Bezug auf die chaotischen Vorbereitungen zur Uraufführung der „Aida“. Wegen des 1870 von Preußen losgetretenen Angriffskriegs gegen Frankreich saßen das Bühnenbild und die Kostüme in Paris fest, die erstmalige Aufführung in Kairo konnte erst mit einer mehrmonatigen Verspätung stattfinden.

Die Handlung spielt im eleganten Pariser Haus von Auguste Mariette, jenem Ägyptologen, der auch das Szenarium der Oper entwarf und bei der Uraufführungsproduktion für die Besorgung der Kostüme und Kulissen zuständig war. Er wird wortlos von Rolf Germeroth gespielt, der den hektisch herumwuselnden Sängern und Sängerinnen Anweisungen gibt. Weil sich die Abreise verzögert, sollen sie den Durchlauf des Werks schon mal proben.

Das hochwertig realisierte Bühnenbild und die detailverliebten Kostüme machen diese Inszenierung, die vor klassischen Tanzeinlagen in altägyptisch inspirierten Kostümen nicht zurückschreckt, zur permanenten Augenweide. Hector Sandoval wirkte als Radames am Premierenabend stimmlich nicht immer sonderlich wendig, konnte in den exponierten Tönen mit seinem metallischen Timbre aber heldenhaft punkten. Nadine Weissmann, wiewohl in der Höhe ein wenig limitiert, erfreute als ägyptische Pharaonentochter Amneris mit vollreifem Stimmklang. Die Überraschung des Abends war eine Ensemblesängerin namens Tatiana Larina, die als Aida-Zweitbesetzung kurzfristig für eine erkrankte Kollegin eingesprungen war und ein phänomenales Rollendebüt lieferte. Obwohl Larina in den vergangenen 15 Jahren bereits an diversen Orten gesungen hat und vielleicht nicht mehr als blutjunge Newcomerin gilt, erinnert ihre Stimme an einen jugendlichen Rotwein, hinter dessen kräftiger Frucht eine vielversprechende Komplexität Lust auf die kommenden Jahre macht.

Entdeckungen wie diese sind auf einer Opernreise in die sogenannten Neuen Bundesländer nahezu garantiert.

© Nasser Hashemi: v. l. Nadine Weissmann (Amneris), Olga Shurshina (Aida)