Rezensionen

Boris Godunow.

12. Mai 2022, 08:20 Uhr

Gestern gab es an der Wiener Staatsoper die Wiederaufnahme der Oper „Boris Godunow“ von Modest Mussorgsky. Der radio klassik Stephansdom Opernliebhaber Richard Schmitz berichtet über die Aufführung.

Wiederaufgenommen wurde die Inszenierung der Urfassung, die am Haus 2012 Premiere hatte. Sie ist Alexander Puschkin näher und dramatisch stringenter. Persönlich vermisse ich den Polenakt nicht. Gestern wurden wir aufgefordert, die Oper als Parabel für die Unterdrückung des russischen Volkes zu sehen. Davon ist allerdings in der Inszenierung von Yannis Kokkos wenig zu sehen. Keine Peitschenhiebe, kein Niederknien, keine andere Gewalt. Das Bühnenbild ist unauffällig, vorwiegend dunkel und bringt nur Effekte, wenn der Zar und der Chor hinter dem Orchestergraben hinaufsteigen. Das ist aber auch die einzige Idee. Die Kostüme wurden – hoffentlich kostengünstig – im Kaufhaus eingekauft. Um mit ihnen Tagesaktualität zu suggerieren hätte man modernere Kleidung aussuchen müssen. Nur der Zar darf einen goldenen Mantel tragen.

Eine subtile Personenführung habe ich nicht bemerkt. Deshalb bleibt es den Sängerinnen und Sängern überlassen, die Handlung mit Leben zu erfüllen. Alexander Tsymbalyuk gelingt es, im Laufe des Abends in die Rolle des Boris hineinzuwachsen. Eine schöne aber nicht herausragende Leistung. Vitalij Kowaljow singt einen jugendfrischen Greis, Pimen ist offenbar jünger als der zwanzigjährige Grigorij, den Dmitry Golovnin unauffällig gestaltet. Nicht einmal graue Haare hat man dem Pimen vergönnt. Thomas Ebenstein ist alles, nur kein durchtriebener Intrigant Schuiskij. Die Szene in der Schenke gerät dank Ilija Kazakov, der einen köstlichen betrunkenen Waarlam gibt und dank Dan Paul Dumitrescu als des Lesens unkundiger Hauptmann zum dichtesten Abschnitt des Werkes. Beeindruckend Andrea Giovannini als Gottesnarr. Isabel Signoret und Ileana Tonca erfüllen als Fjodor und Xenia ihre Aufgaben. Für einen wenig dramatischen Ablauf sorgt Michael Güttler am Pult, wobei mir nicht ganz klar ist, ob das nur an ihm gelegen hat. Der Chor hat trotz seines Antreibens geschleppt. Das Staatsopernorchester war mit den langsamen Tempi zufrieden.

Am Schluss höflicher Applaus mit Abstufungen. Begeisterung hat keiner der Rollendebütanten hervorgerufen. Das einzelne Buh für die Titelrolle habe ich nicht verstanden. Mein Eindruck war eine gewisse Lieblosigkeit, die den Abend bestimmt hat.

Völlig unverständlich ist die Wiedergabe ohne Pause; vielleicht deshalb, weil die sechs enervierend langen Umbaupausen nach den Szenen ohnehin eine Gesamtzeit von einer halben Stunde Pause ergeben?

Wertnote: 6,8/10 Punkten

© Wiener Staatsoper, KS Ferruccio Furlanetto (Boris), Stephanie Houtzeel (Fjodor)