Rezensionen

Burgtheater

19. Mai 2025, 08:20 Uhr

Mavie Hörbiger in BURGTHEATER von Elfriede Jelinek
Tommy Hetzel

Wenn man’s in Wien aufführt, wird’s sicher der größte Theaterskandal der Zweiten Republik! Als Elfriede Jelinek 1981 ihr damals jüngstes Stück, eine „böse Posse mit Gesang“, ankündigte, da ahnte nicht einmal sie, dass BURGTHEATER auch ohne die eigentlich geplante Premiere im Burgtheater ihren Ruf als „Nestbeschmutzerin“ begründen sollte. Eine berühmte Schauspielerfamilie, Geraunze und Geraune in mörderischer Kunstsprache: Für den Schweizer Regisseur und Wiener Festwochen-Intendanten Milo Rau, dem Jelinek nun exklusiv die Rechte für eine späte Burgtheater-Premiere einräumte, werden dies nur einige der Ausgangspunkte für ein größeres szenisches Panoptikum sein: Öffentlichkeit und Anpassung, Geschichte (der BURG, des Theaters und Europas), Faschismus und Verdrängung.

Chefredakteur Christoph Wellner war bei der Festwochen-Premiere im Wiener Burgtheater dabei:

Festwocheneröffnung, Republik der Liebe, Songcontest-Gewinn – und dann am Sonntag Abend die BURGTHEATER-Premiere im Burgtheater. Es war ein großer Theaterabend mit viel Botschaft, aber dennoch problematisch! Festwochenintendant Milo Rau, der die „Erlaubnis“ von Elfriede Jelinek erhalten hat, dieses Stück an diesem Haus zu inszenieren, hat sich gewaltig ins Zeug gelegt. Er nimmt die österreichische Gesellschaft in den Blick und will das Verhältnis zu Faschismus und Mitläufertum analysieren. Und dieses Vorhaben anhand des Burgtheaters und der Dynastie Wessely-Hörbiger. Um die geht es ja in dem Text der Literaturnobelpreisträgerin aus den frühen 80er-Jahren. „Wenn man’s in Wien aufführt, wird’s sicher der größte Theaterskandal der Zweiten Republik“, hat Jelinek damals gesagt. Warum war der Abend aber problematisch? Im Programmheft steht, dass das Stück von Elfriede Jelinek „Ausgangspunkt“ des Abends sei, am Abendzettel steht „nach Elfriede Jelinek in einer Fassung von Milo Rau und Ensemble“. Hier hakt es! Die Jelinek’sche Wortgewalt kommt viel zu kurz. Man mag das Original an manchen Stellen für übertrieben halten – auch was körperliche Gewalt betrifft. Aber der Kosmos Jelinek lebt von der Sprache, die in diesem Falle auch noch eine speziell gekünstelte ist, die die Autorin laut aktuellem Interview beim jetzigen Nachlesen zum „hysterischen Kichern“ gebracht hat. Das Absurde, die Verfremdung von Sprache, Inhalt und Geschichte wird zugunsten von betroffenen Texten in den Hintergrund gedrängt. Das ist manchmal groß – die persönliche Verbindung von Mavie Hörbiger zu ihrer Familie. Manchmal platt – speziell, wenn ganz konkrete Personen der österreichischen Innenpolitik genannt, zitiert und damit herausgehoben werden. Dass dieser Abend – und dieses Stück in dieser Fassung in Erinnerung bleiben wird und hoffentlich oft gespielt werden wird, liegt an dem fantastischen Trio von Caroline Peters, Birgit Minichmayrr und Mavie Hörbiger. Vor der Premiere war mir nicht klar, warum Attila und Paul Hörbiger von Peters und ja: Hörbiger gespielt werden müssen. Im Nachhinein auch nicht. Aber wie sie das gemacht haben, war preisverdächtig – ganz besonders die Paula Wessely von Minichmayr. Dass die gesamte Erzählung auf der Bühne mit Livevideo und einer aufgesetzten Podcast-Dramaturgie noch um eine Dimension erweitert wurde, hat dem Gesamteindruck keinen Abbruch getan. Als ein Postscriptum sei noch erwähnt, dass der Abend mit einem raren Moment berührender Theatergeschichte endete. Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann erinnerte auf offener Bühne vor dem gesamten Ensemble an die Doyenne des Hauses, Elisabeth Orth, die vorgestern verstarb. Nach einer gemeinsam gehaltenen Schweigeminute verließ das Premierenpublikum das Theater ebenso still. Im Gedenken an eine ganz Große. Die mit dem Erbe der beschriebenen Familie auf ganz besondere Weise umgegangen war. Möge sie in Frieden ruhen.