Rezensionen

Candide in Lyon.

17. Dezember 2022, 08:15 Uhr

Richard Brunel
Richard Brunel

Gestern Abend hatte in Lyon Candide von Leonard Bernstein Premiere. Dirigent Wayne Marshall und Regisseur Daniel Fish haben sich für die revidierte Fassung der Schottischen Oper aus dem Jahr 1989 entschieden. Musikchefin Ursula Magnes berichtet aus Lyon.

Dirigent Wayne Marshall ist uns durch viele schöne Konzerte in Wien bekannt. Er wiederum hat auch Leonard Bernsteins „Operette“ Candide schon mehrfach dirigiert. Vollblutmusiker Wayne Marshall hat für die vielschichtige und humorvolle Musik Bernsteins ein erstklassiges Händchen, den das Mischmasch von Candide fordert einen gelassenen Überblick. Der aus New York stammende Regisseur Daniel Fish ist Broadway erfahren. Er verzichtet auf jeglichen Klamauk und sezziert Fragen des Lebens anhand der Lebensreise Candides auf der Suche nach der besten aller Welten. Freilich, von Voltaires bissig sarkastischer Vorlage aus dem Jahr 1759 ist nur wenig geblieben. Daniel Fish orientiert sich am Existentiellen, was durch eine sehr strenge geometrische Choreoprafie der Tänzerinnen und Tänzer zum Ausdruck kommt. Samuel Beckets Quadrat lässt grüßen.

Ein alter Mann als streng distanzierter Inquisitor wirft immer wieder relevante Fragen auf. Als peinlicher Befrager schärft er den Blick von Außen. Das Lebenstheater gibt die Antwort. Es geht um den Sinn des menschlichen Daseins. Die irrwitzigen Reisen und Vorkommnisse im Leben des Candide sind bloße Ablenkung. Das Erdbeben in Lissabon, Aufregungen in Spanien und bis nach Paraguay – Voltaire setzt den Optimisten ordentlich zu. Von all dem ist in der Inszenierung von Daniel Fish nichts zu sehen. Es geht um unsere Welt; die in vielem im Argen liegt. Zum Schluss hat die Erdkugel, wie wir in Wien sagen würden „einen Potschn“, ihr geht im wahrsten Sinne des Wortes die Luft aus. Der Riesenluftballon im Sinnbild einer Seifenblase haucht am Rand der Bühne seinen Atem aus. Eine Metapher, die sitzt.

Die erstklassige Sängerinnen- und Sängerbesetzung stützt den Abend. Sowohl Candide als auch Cunégunde erfordern versierte Sängerinnen. Gerade Cunégunde ist eine Mischung aus Mozarts Königin der Nacht und Offenbachs Olympia. Der amerikanische Tenor Paul Appleby singt Candides Einfachheit mit lyrischer Bravour. Die amerikanische Sopranistin Sharleen Joynt überzeugt ebenso mit Spielwitz und toller Stimme, die sich in den Höhen bewährt.

Bernsteins Candide entstand kurz vor der West Side Story und ist ursprünglich durchgefallen. Das seinerzeitige Creativteam wollte zu viel. Geblieben ist weltweit die einzigartige Ouvertüre und die Hits „Glitter an be gay“ sowie die Arie der Alten Lady „I’m easely assimilated“, wo Leonard Bernstein auf den Geburtstort seiner Eltern im heute in der Ukraine liegenden Riwne anspielt. Das Stück bleibt eine Herausforderung für die szenische Umsetzung. Daniel Fish hat es existentiell angelegt im offenen Bühnenraum ohne jegliche Kulisse. Die Welt eben, wie sie ist. Wer es gut meint, pflege sie wie seinen Garten. Oder wie es Viktor Frankl fomulierte: „Trotzdem ja zum Leben sagen“.

Der Besuch in Lyon lohn sich. Die viele Jugend im Publikum stimmt positiv. Ein müder Buhrufer ging im allgemeinen Jubel unter. Großer Applaus für Wayne Marshall. (um)