Rezensionen

Das verratene Meer.

20. September 2021, 08:15 Uhr

Gestern fand die 2. Vorstellung von Hans Werner Henzes Oper Das verratene Meer in der Wiener Staatsoper statt. Zum ersten mal vor Publikum. Am 14. Dezember des Vorjahres konnten wir sie schon via Streaming erleben. Unser Opernliebhaber Richard Schmitz hat beides miterlebt.

Gleich vorweg: Streaming kann das Opern-live-Erlebnis in keiner Weise ersetzen. Gerade eine moderne Oper muss man live erleben. Die Ausbrüche des Orchesters aber auch die feinen lyrischen Passagen kommen selbst auf einer guten Tonanlage eben nur aus einem Lautsprecher. Live ist die präzise Arbeit von Simone Young um vieles erlebbarer. Sie hielt das komplexe Orchester mit vielfach unterteilten Bläsern und einer japanischen Trommel blendend zusammen.  Es war eine andere Oper, die ich gestern gehört habe.

Das verratene Meer ist Hans Werner Henzes vorletzte Oper. Sie kam 1990 an der Deutschen Oper Berlin heraus. Die Dreiecksgeschichte einer japanischen Novelle wurde von Ulrich Treichel in ein Libretto verwandelt. Der Seemann Ryuji Tsukazaki verliebt sich in die Witwe Fusako Kurod, die seine Liebe erwidert. Noboru, der 13-jährige Sohn der Witwe verehrt anfänglich den Schiffsoffizier, weil er ebenso wie seine gleichaltrigen Freunde an das Meer und das Heldentum der Seefahrt glaubt. Als der Seemann abheuert und in das Geschäft der Witwe, einer Kleiderboutique, eintreten will, verliert er in den Augen der Jungen jeden Heldenmythos. Die jugendliche Gang, der Noboru angehört, hält Gericht über Tsukazaki und verurteilt ihn zum Tod. Ödipale und homoerotische Gefühle und die Verachtung der Bürgerlichkeit bestimmen die Beziehungen der handelnden Personen.

Hasn Werner Henze schrieb keine exotische Oper, wie die Turandot. Lediglich einzelne fernöstliche Klänge, vor allem im Schlagzeug, sind aus dem Klangkonglomerat herauszuhören. Den 13 jährigen Noboru, der immer mehr in den Mittelpunkt rückt, sang wortdeutlich und intensiv Josh Lovell mit seinem klaren Tenor. Bo Skovhus gestaltete den verliebten Seemann und schlussendlich Kleinbürger Tsukasaki. Die Mutter war bei Vera-Lotte Boecker in besten Händen; stimmlich die anspruchsvollste Partie. Die Mitglieder der jugendlichen Gang Erik van Heyningen als Anführer, der Counter Kangmin Justin KimStefan Astakhov und Martin Häßler entsprechen ihren Aufgaben.

Die Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito ging behutsam vor und brachte die unterschiedlichen Ebenen zur Einheit. Das kühle Bühnenbild und die Kostüme von Anna Viebrock lieferten einen zeitgenössischen Rahmen. Den angestrebten Surrealismus habe ich kaum wahrgenommen.

Die Oper könnte,  wie etwa Billy Budd, zu einem Zugstück werden. Es ist schön zu sehen, dass die Oper lebt. Für die Streaming-Initiative der Staatsoper sollte man trotzdem dankbar sein.

Wertnote: 8,6/10 Punkten.

© Wiener Staatsoper