Rezensionen

Der Goldene Drache.

17. Februar 2023, 09:20 Uhr

Szenenbild aus Der Goldene Drache
Herwig Prammer

Ist das Glück ein Drache? Ins chinesische Glückkekse-Glück können Opernbesucher derzeit jedenfalls hemmungslos greifen. Die süßen Aufmerksamkeiten, die man beim Asiaten zur Rechnung bekommt, liegen zu Hauf herum, wenn man aus der Drachengasse ins Foyer der Wiener Kammeroper tritt.

Hier hat noch bis 3. März das Thai-China-Vietnam-Schnellrestaurant „Der goldene Drache“ seine Küche geöffnet. In ihr rackern sich fünf Köche ab. Illegale, von denen der jüngste, genannt der „Kleine“, gerade aus China angekommen, furchtbare Zahnschmerzen hat. Ohne Papiere ist der Zahnarztbesuch undenkbar. Also wird dem Kleinen mit der Rohrzange der kariöse Stiftzahn gezogen. So brachial, dass er in hohem Bogen durch die Luft fliegt – und im Wok landet. Wo er nicht lange bleibt. Die Stewardess, die mit ihrer Kollegin über dem „Goldenen Drachen“ wohnt, wird ihn aus der Menünummer „6“ fischen. Aus einer Schüssel Thai Suppe mit Hühnerfleisch, mittelscharf.

Es ist ein süßsaurer, absurder und bitterkomischer Spaß mit todernstem Abgang, den sich der Erfolgsdramatiker Roland Schimmelpfennig 2009 fürs Akademietheater ausgedacht hat. Komponist Peter Eötvös, dem ein besonders glückliches Händchen fürs Musiktheater eigen ist, hat sich den Stoff zu einem Libretto von eineinhalb Stunden komprimiert. Wobei er hier dezidiert ein Stück Musiktheater und keine Oper schaffen wollte. Dabei folgt er Schimmelpfennigs Vorgaben weitgehend, lässt zwei Sängerinnen und drei Sänger in 18 Rollen schlüpfen, um 21 kurze Szenen zu spielen. Sechzehn Musiker erzeugen dazu auf 25 Instrumenten den Klang, generieren mit vielen, teils aberwitzigen Percussions-Instrumenten wie Bierflaschen, Bürste und Kamm, ein farbenreiches Klanggewusel und Geklingel. Das ist durchaus chinesisch getönt, und unterfüttert den gesprochenen oder akzentuiert gesungenen Text reichlich und begleitet ihn lautmalerisch. Eötvös gönnt dem Publikum aber auch ruhige, berührende Momente, Arien und kurze Zwischenspiele. Es ist ein eindringliches Plädoyer gegen moderne Arbeitssklaverei und anonyme Dienstleister-Ausbeutung, die uns Verwöhnten das Leben so schön bequem macht.

Dirigent Walter Kobéra weiß die raffinierte Partitur mit Musikern des Klangforum Wien und deren Studierenden ganz ausgezeichnet umzusetzen. Die beiden höchst aktiven Perkussionisten sorgen dabei auf den beiden Balkonen für Raumklang. Das passt auch zur Inszenierung, für die Regisseur Jan Eßinger die ganze Kammeroper als Spielraum nutzt. Er holt die Ausgebeuteten aus der Küche ans Licht, und macht sie allgemeingültiger zu einem Putztrupp, den er ohne große Kostümwechsel, geschickt und spielerisch durch die diversen Rollen und Episoden schickt. Etwa auch durch die implementierte Fabel von der fleißigen Ameise und der faulen Grille. Sie steht für sexuelle Ausbeutung, wenn die Ameise die Grille zur Prostitution zwingt, bis diese daran kaputt geht.

Camilla Saba Davies, Christa Ratzenböck, Felix Heuser, Hans-Jürgen Lazar und Peter Schöne begeistern als ganz großartige Singschaupieler:innen bis zum bitteren Ende. Denn der Kleine verblutet. Eingewickelt in den Teppich mit dem Goldenen Drachen drauf, der dem Restaurant den Namen gab, werfen ihn die anderen in den Fluss. Der spült seinen Körper wieder nach Hause. Man sollte es also nicht verpassen, und selbst nachschauen, welche Weisheit das Kammeropern-Glückskeks in der Drachengasse für einen bereit hält.