Rezensionen

Dialogues des Carmélites.

22. Mai 2023, 08:20 Uhr

Nicole Car (Blanche), Maria Nazarova (Constance)
Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Die Oper „Dialogues des Carmélites“ von Francis Poulenc hatte gestern in der Wiener Staatsoper Premiere. Unser Opernexperte Richard Schmitz berichtet.

Es kommt bei dieser Oper tatsächlich auf die Dialoge, die Gespräche an. Der Text nach dem Drama von Georges Bernanos ist besonders gescheit und behandelt allgemeinmenschliche Gedanken und vor allem Ängste. Die Hauptfigur Schwester Blanche de la Force leidet unter Phobophobie , das heißt sie hat Angst vor der Angst, hervorgerufen durch ein frühkindliches Trauma. Sie beschließt in ein Karmeliterinnenkloster einzutreten. Im Gefolge der Französischen Revolution wird das Kloster aufgelöst und Schwester Blanche flieht. Die 16 Schwestern werden wegen konterrevolutionären Verhaltens zum Tod durch die Guillotine verurteilt. Als der letzte Kopf gefallen ist, löst sich Blanche aus der gaffenden Menge, singt das Salve Regina weiter und steigt ebenfalls aufs Schafott. Die Novelle von Gertrud von le Fort, die Georges Bernanos verarbeitet hat, heißt ja „Die Letzte am Schafott“.

Dirigent Bertrand de Billy liebt dieses Werk und hat es hingebungsvoll umgesetzt. Er arbeitet alle Feinheiten der Partitur heraus, was bei dieser Konversationsoper nicht leicht ist. Die Differenzierung liegt da im Detail. Die Damen des Wiener Ensembles unterstützen ihn bestens, allen voran Michaela Schuster als sterbende Priorin mit all ihren Zweifeln. Auch Maria Motolygina als ihre Nachfolgerin gestaltet mit ihrer großen Stimme eine schlüssige Figur. Eve-Maud Hubeaux als drahtziehende Novizen Meisterin bewältigt ihre Aufgabe. Schön singt auch Nicole Car die Blanche, doch bleibt sie das Zerbrechliche, Neurotische des Charakters schuldig. Das mag auch daran liegen, dass ihre positive Partnerin Constance zwei Kopf kleiner ist als sie. Maria Nazarova macht das wunderbar. Auch die übrigen Schwestern singen wie es sich gehört himmlisch. Verlässlich Thomas Ebenstein als Beichtvater und Bernard Richter als besorgter Bruder. Clemens Unterreiner darf als Kerkermeister die historischen Namen der Verurteilten verlesen. Der Handlung liegt ja eine wahre Begebenheit zugrunde. Alle übrigen Rollen waren bestens besetzt.

Inszenierung, Kostüme und Bühnenbild schildern die Handlung zurückhaltend und präzise. Nicole Car hätte man helfen können, den ängstlichen Charakter der Blanche besser herauszuarbeiten. Die Zusatzfiguren wie die vermummten angsterregenden Gestalten, die figure héroïque und das gekrönte Kind interpretieren das Geschehen.

Problematisch empfinde ich die Schlussszene. Dass die Schwestern schon einen Heiligenschein tragen, bevor sie offenbar durch Herzinfarkt sterben und schnell abgehen und dass Blanche am Boden ohne jede Einwirkung stirbt, nimmt der Oper die Dramatik. Schafott ist weit und breit keines zu sehen. Die Regisseurin Magdalena Fuchsberger hat ein tolles Regiedebut an der Wiener Staatsoper gefeiert. Sie hat ein wahrhaft schwieriges Werk inszeniert, ohne sich selbst in den Vordergrund zu spielen. Das Publikum war beeindruckt und spendete begeistert Applaus für Regie, Bertrand de Billy, Chor und Orchester und differenzierte den Jubel von Sängerin zu Sängerin, auch die Sänger wurden einbezogen. In Kenntnis des Mitschnitts der Wiener Premiere 1959 stellt sich mir die Frage, ob diese Oper nicht in deutscher Sprache noch besser zur Geltung käme. Hoffentlich bleibt der „Dialog“ diesmal länger im Repertoire.

Wertnote: 8,9/10 Punkten