Rezensionen

Diana Damrau als Anna Bolena.

13. Februar 2022, 09:30 Uhr

Bei der gestrigen Wiederaufnahme von Gaetano Donizettis „Anna Bolena“ an der Wiener Staatsoper war unser radio klassik Stephansdom Opernexperte Richard Schmitz vor Ort.

Die Oper „Anna Bolena“ war das erste große Erfolgsstück Donizettis. Da ist noch nicht alles so ausgefeilt wie in der „Lucia“. Die Rezitative sind wenig anregend, die Arien wirkungsvoll aber ohne die zwingende Linie und das Werk hat Längen, gegen die Evelino Pidò vor elf Jahren noch erfolglos angekämpft hat. Damals stand die erste gemeinsame Bühnenproduktion von Anna Netrebko und Elīna Garanča im Mittelpunkt des Interesses. Gestern befanden sich zwei Bühnenpersönlichkeiten am Höhepunkt ihres Könnens nebeneinander. Diana Damrau gestaltete die Titelrolle auch mit schauspielerischen Einsatz und ihrer geschmeidigen Stimme aus. Anfangs noch hektisch und kapriziös reift sie zu einem Menschen, der um die Aufrechterhaltung seiner Ehe und sein Leben kämpft und dem man am Ende sein Mitleid nicht versagen kann. Ekaterina Semenchuk geht es statischer an, kann aber durch Ausdruck und Stimmkraft die Bandbreite der Giovanna Seymour von Liebe, Leidenschaft, Treue und Gewissensbissen verständlich machen. Zwei Charakterstudien erster Klasse. Die Überraschung des Abends war für mich Nicholas Brownlee als Henry VIII., der für Erwin Schrott eingesprungen ist. Genau so habe ich mir den rücksichtslosen englischen König vorgestellt, mit herrischer Stimme und entsprechendem Auftreten. Kaum zu glauben, dass er mit dem Colline im Jänner in der „Bohème“ seinen ersten Auftritt an der Wiener Staatsoper gefeiert hat. Medial groß angekündigt war auch Pene Pati als Percy, vor allem weil er aus Samoa kommt. Er hat eine schöne, große, gut geführte Stimme, die er geschmackvoll einsetzt. Mehr kann er ja in dieser Rolle als dümmlicher, verzweifelter Liebender nicht zeigen. Dan Paul DumitrescuSzilvia Vörös und Carlos Osuna erfüllen ihre Aufgaben mit Hingabe. Der Dirigent Giacomo Sagripanti machte keine Anstrengung die Längen des Werkes vergessen zu machen. Da zerfallen die Rezitative und die Arienschlüsse treiben den Applaus nicht an. Durchdachte Tempoverschiebungen und präzisere Zeichengebung  könnten so manche verwackelte Stelle vermeiden. Erfreulicherweise hat die Damrau ihre Wahnsinnsszene ohne Rücksicht auf den Dirigenten gestaltet; das war dann auch ein echter Höhepunkt.

Über die nicht vorhandene Regie und das hässliche Bühnenbild breite ich den Mantel des Schweigens. Wenigstens konnten alle ungeniert an der Rampe agieren. Für den Einspringer Nicholas Brownlee war das sicher ein Vorteil. Auch die Kostüme sind wenig liebevoll auf die Sänger zugeschnitten.

Fazit: Ein Abend mit zwei großen Sängerinnen und zwei positiven Überraschungen. Das fast volle Haus war begeistert.

Wertnote: 8,5/10 Punkten.