Rezensionen
Don Giovanni in Salzburg.
27. Juli 2021, 08:25 Uhr
Sie wurde mit Spannung erwartet: die erste Opernpremiere der diesjährigen Salzburger Festspiele. Mozarts und DaPontes Don Giovanni. Inszeniert von Romeo Castellucci – im Graben des Großen Festspielhauses Teodor Currentzis und sein Ensemble MusicAeterna. Ursula Magnes berichtet aus Salzburg.
Begeisterte Romeo Castellucci in seiner Salzburger Salome-Inszenierung mit absoluter Reduktion der Mittel, so tat er es mit Don Giovanni im glatten Gegenteil: ein vierstündiger Opernabend mit einer erst zu verdauenden Fülle an Bildern und Symbolen. Schon vor der Ouvertüre wird ein Kirchenraum seiner christlichen Symbole entledigt – eine Ziege rennt über die Bühne – ehe allerhand von der Decke auf die Bühne knallt: ein Sportauto für Don Giovanni, ein Rollstuhl für den Komtur, Basketbälle später noch ein nachhallend zerberstender Flügel. Weiteres kommt von oben, angebunden an Stahlseilen: Eine Toten-Kutsche in der Szene zu Zerlinas und Don Giovannis „Là ci darem la mano“. Im Lauf der Registerarie des Leporello finden zwei Kopiergeräte zueinander.
Ist es im ersten Akt der säkularisierte Kirchenraum, den sich der „Wüstling“ Don Giovanni Platz greift, so ist es im zweiten Akt eine Art Tabula rasa. Lang weiße Vorhänge spielen auch gewaltig mit, wenn 150 Salzburger Frauen als Bewegungstheater choreografiert von Cindy Van Acker auftreten. Auch Albrecht Dürers Feldhase kommt als Zitat auf die Bühne ebenso wie das „Bildnis einer jungen Frau“, gemalt um 1470 von Petrus Christus. In dem auch jemand herumklettert.
Die Fülle an Romeo Castelluccis Denkanstößen, wer und was das „Prinzip Don Giovanni“ mit uns macht, ist überbordend und fordernd. Die einzelnen Tableaus faszinieren. So bilden die schwarz umhüllten Frauen am Ende Friedhof und Statue des Kompturs in einem.
Teodor Currentzis lässt sich für all diese Bilderfülle musikalisch viel Zeit. Der klangliche Farbenreichtum seines Orchesters MusicAeterna ist beeindruckend. Bei den Streichern als auch bei den Bläsern; da bleibt kein Wunsch offen. Jedes Detail wird leidenschaftlich musiziert und der feine dynamische Aufbau ist selten so zu hören – noch dazu in den Weiten des Großen Festspielhauses. Bei der Champagner-Arie wird der Orchestergraben etwas hoch gefahren und verwandelt sich mit der Musik in eine Discokugel – der Komtur singt seinen finalen Besuch bei Don Giovanni hinter Currentzis am Dirigentenpult.
Die Sängerinnen und Sänger haben es in dieser Bilderwelt nicht unbedingt leicht, geht es dem Regisseur doch weniger um Personenführung oder den dramatischen Aufbau.. Romeo Castellucci untersucht den Stoff nicht die Handlung. Wie immer bei Currentzis sind die Stimmen perfekt in sein Klangkonzept integriert. Davide Luciano als Don Giovanni und Vito Priante sind nicht nur optisch kaum zu unterscheiden. Michael Spyres als Don Ottavio tritt als Polarforscher und königlicher Potentat in Erscheinung und singt seine zwei Paradearien bravourös. Im Mittelpunkt stehen eher die Frauen: Nadezhda Pavlova als Donna Anna erhält auch den größten Applaus. Federica Lombardi als Donna Elvira – Don Giovanni schaudert es, womöglich einen kleinen Sohn mit ihr zu haben – und Anna Lucia Richter als Zerlina. Mika Kares gibt den Komtur und David Steffens den Massetto. Maria Shabashova begleitet und improvisiert die Rezitative sehr frei, der Handlungssituation entsprechend.
Ein langer intensiver Opernabend, der die Besucherinnen und Besucher mit vielen Fragen nach Hause schickt. Castelluccis starke Bilder im Kopf werden mit Sicherheit vielerorts nachbesprochen werden.
© SF, Ruth Waltz: Anna Lucia Richter (Zerlina), Davide Luciano (Don Giovanni)