Rezensionen
Ein neuer Figaro.
11. März 2023, 10:32 Uhr
Gestern wurde an der Wiener Staatsoper der Mozart-Da Ponte-Zyklus fortgesetzt. Regisseur Barrie Kosky inszeniert diesmal „Le Nozze di Figaro“. Alle waren gespannt ob er auch diese Oper am Brünnhildenfelsen inszenieren würde. Wie hat unser Opernexperte Richard Schmitz die Premiere erlebt?
Begonnen hat der Abend mit einem Auftritt des Direktors, der bekannt gab, dass die Sängerin der Susanna Ying Fang plötzlich eine Blutung an den Stimmbändern bekommen hatte. Sie hat sich dann aber trotzdem zur Stimme der Maria Nazarova, die die Partie aus dem Orchestergraben sicher sang, hinreißend bewegt. Hoffentlich heilen die Stimmbänder bald, damit wir dieses Stimmtalent bald auch hören können. Warum die Staatsoper keine Coversängerin vorgesehen hatte, bleibt ein Rätsel. Das Bühnenbild von Rufus Didwiszus ist diesmal viel konventioneller. Anfangs eine weiße Wand wie in der Così in Salzburg, später wird die Szene auf Stadttheatergröße geschrumpft. Der Garten im letzten Akt ist von Maulwürfen unterwühlt, was die Figuren weidlich ausnützen und aus Bodenklappen auftreten. Die Kostüme sind zeitlos gegenwärtig, wenn man von der Rokokomaskerade im Chor des ersten Aktes absieht. Die Dienerschaft trägt Berufskleidung, sogar Susanna, auch wenn High-Heels für eine Zofe beim Gebrauch eines Putzwagens nicht sehr praktisch sind. Der Graf bevorzugt bunte oder goldene Anzüge mit Glockenhosen. Figaro darf einen grauen Zweireiher tragen, zur Hochzeit dann Smoking.
Philippe Jordan dirigiert nicht nur, er spielt auch das Hammerklavier in den Rezitativen. Diesen dürfte er sich in den Proben intensiv gewidmet haben. Da gibt es viele wohldurchdachte Einzelheiten, bei denen ihm auch Barrie Kosky in der Personenregie folgt. Seine Absicht, den Grafen nicht nur als herrschaftlichen, hemmungslosen Schürzenjäger zu zeichnen, gelingt nur in Grenzen. André Schuen hat mit seiner schönen Stimme zu wenig Durchschlagskraft, um den Herren zu gestalten. Das gilt auch für Peter Kellner, der dem Figaro das Aufbegehren schuldig bleibt. So bleibt Hanna-Elisabeth Müller als Gräfin die Rolle der Drahtzieherin, was ihr bestens gelingt. In den Arien sollte sie mehr Legato bei den Registerwechseln bieten. Patricia Nolz ist ein erfreulicher Cherubino. Ob dieser als verkannter Dichter wahrgenommen wird, wie es Barrie Kosky zeigen wollte? Stefan Cerny als Bartolo und Wolfgang Bankl als Antonio präsentieren ihre Bässe. Stephanie Houtzeel gestaltet eine anfangs affektierte Marcellina. Chor und Orchester laufen unter Philippe Jordan zur Hochform auf. Da ist viel gearbeitet und geprobt worden. Das hat auch das Publikum erkannt. Alle Soli wurden mit Szenenapplaus belohnt. Zu Recht ging der einzige Blumenstrauß an den Dirigenten, der ihn prompt an das Orchester weiterreichte. Mit der singenden Ying Fang wären die Intentionen des Frauentages sicher deutlicher herausgekommen. Die Gräfin und Susanna sind ja die großen Siegerinnen in dieser Handlung.
Barrie Koskys Regie ist professionell und hat sich nicht in den Vordergrund gedrängt. Die Buhs waren offensichtlich bestellt. Anders kann ich sie mir nicht erklären. Das Publikum feierte alle mit freundlichem, nicht allzu überschwänglichen Applaus; das hätte gereicht.
Wertnote: 8,2/10 Punkten
© Richard Schmitz