Rezensionen

Einfach noch besser.

9. September 2020, 08:15 Uhr

Gesternabend gab es in der Wiener Staatsoper die Wiederaufnahme der Harry Kupfer-Inszenierung von Richard Strauss Elektra. Die insgesamt 66. Aufführung dieser Inszenierung. Der für lange Zeit abwesende Franz Welser-Möst wurde schon zu Beginn heftig bejubelt. Wie sich am Ende herausstellte zu Recht. Musikchefin Ursula Magnes besuchte den 2. Opernabend der neuen Direktion von Bogdan Roščić:

Zugegeben habe ich mir nach der Salzburger Elektra-Erfahrung wenig erwartet. War eher neugierig, was ich von der exemplarischen Aufführung im Sommer vermissen werde (Insenierung Krzysztof Warlikowski). Und siehe und vor allem höre da, mein opernhafter Übermut mit Verdacht auf Hochmut wurde bald eines Besseren belehrt. Die Wiener Philharmoniker klingen als Wiener Staatsopernorchester zu Hause, im vertrauten Graben, einfach noch besser. Besser im Sinne von wärmer, impulsiver, schneidender, aufbrausender, süßlicher – je nachdem, was Richard Strauss aus dem Text von Hugo von Hofmannsthal herausschält. Überstülpt. Gleich drei Rollendebütantinnen prägen den Abend: Ricarda Merbeth als Elektra singt so klug, dass sie die Höhen mit Sicherheit und ohne Schärfe ansetzt. Ihre Phrasen tragen weit und berühren. Camilla Nylund singt ihrer Rolle als Chrysothemis entsprechend quirliger und Doris Soffel zeigt vor, was es heißt, als ratlos, auf ihr Leben bestehende, schlecht träumende Klytämnestra über die Bühne zu stolzieren. Behangen mit Ketten, Edelsteinen und einem inneren Aufbäumen gegen das Schicksal. Alle drei Frauen erstarren im Schatten des übergroßen, geköpften Agammenon, der große abwesende Tote. Derek Welton als Orest war schon in Salzburg dabei und Haustenor Jörg Scheider singt einen eher zufällig auftretenden Aegisth.

Der Idealfall einer musikalischen Darbietung. Die Extreme dieser Partitur wurden packend wie drastisch hörbar. Szenisch dann eher doch etwas zu beharrliches Stehtheater um ein Heldenstandbild. Eine einzige Einstellung wird dem aufwühlenden Stoff nicht gerecht. Mir wurde da ein bisschen langweilig beim Schauen. Die Pandemie der Argonauten-Familie erschließt sich nur dem Wissenden. Die Textverständlichkeit nimmt im Laufe des Abends etwas ab, doch die musikalische Intensität löst großen Jubel aus. (Ursula Magnes)

© Wiener Staatsoper, Alex Zeininger