Rezensionen

Enoch Arden an der Wiener Kammeroper.

18. Mai 2022, 08:15 Uhr

Das Leben geht weiter. So lautet eine Textzeile in der Oper „Enoch Arden“ von Ottmar Gerster. Das Libretto von Karl Michael Levetzow fußt auf der Ballade „Enoch Arden“ des englischen Dichters Alfred Tennyson. Das Werk wurde am 15. November 1936 in Düsseldorf uraufgeführt und wurde Mitte des 20.  Jahrhunderts oft gespielt. Heute kennt sowohl den Namen des deutschen Komponisten, als auch das Stück so gut wie niemand. Ottmar Gerster, geboren 1897 im hessischen Braunfels, Bratschist, Komponist, Dirigent. Politisch durchaus diskussionswürdig. Befreundet mit dem zwei Jahre älteren Paul Hindemith.

Roland Geyer bringt am Ende seiner Theater an der Wien-Intendanz den Stoff wieder ins Bewusstsein des Opernpublikums. Die Neuproduktion passt wie angegossen für und in die Wiener Kammeroper. David Haneke, verantwortlich für die Videos, die Bühne und erstmals auch für die Regie, hat den Plot perfekt in Szene gesetzt. Das Vergangene mit dem Neuen verbunden. Die Videos sind ästhetischen und herrlich anzusehen, dazu dramaturgischen ideal platziert. Kapitän Enoch Arden erleidet Schiffbruch. Zwölf lange Jahre bleibt er verschollen und wird schließlich für tot erklärt. Als er endlich zurückkehrt, hat seine Frau den Müller Klas geheiratet, der sich in Enoch Ardens Abwesenheit auf dessen Geheiß um sie kümmern sollte. Sein Sohn wird bald zum ersten Mal in See stechen. Da für Annemarie ihr einstiger Mann nach so langer Zeit ein Fremder geworden ist, beschließt Enoch Arden sich nicht erkennen zu geben.

Markus Butter singt und spielt einen eindringlichen Enoch Arden. Valentina Petraeva, die Annemarie, verfügt über einen kräftigen Sopran mit vollem Kern. Tenor Andrew Morstein, als Müller durchaus wendig, aber eng in der Höhe. Beide gehören zum JET, dem Jungen Ensemble Theater an der Wien. Reizend gestaltete der Sängerknabe Samuel Wegleitner den jungen Enoch Arden. Zugespielt sind Ivan Zinoviev als Bürgermeister Schultheiß und als Dorfbewohner sowie Hochzeitsgäste Mitglieder des Arnold Schoenberg Chores.

Durch szenische Umstellungen hat Roland Geyer klug in die Chronologie des Stücks eingegriffen. Der 90-minütige Abend setzt auf hohem Spannungsniveau ein. Realität und Illusion fließen ineinander. Im Graben spielt das Wiener KammerOrchester die Einrichtung von Matthias Wegele. Dazu kommen vorweg aufgenommene Einspielungen der originalen Orchesterbesetzung. Ottmar Gerster komponierte relativ traditionell. Seine Tonsprache ist bewusst simpel, für alle verständlich gehalten. Viel Leitmotivik, Quinten, Quarten. Dirigent Walter Kobéra gelingt ein herrlich ausbalanciertes Ergebnis, das die Handlung herausstreicht. Die Produktion „Enoch Arden. Der Möwenschrei“ von Ottmar Gerster läuft bis 11 Juni 2022 in der Wiener Kammeroper und lohnt, abseits der altbekannten Spielplanpfade. Eine Entdeckung. (ME)

Valentina Petraeva (Annemarie, Enoch Ardens Frau)

© TAW/Herwig Prammer