Rezensionen

Eugen Onegin.

26. Oktober 2020, 08:20 Uhr

Eugen Onegin von Peter Iljitsch Tschaikowsky an der Wiener Staatsoper. Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov hat seine legendäre Inszenierung aus dem Jahr 2006 für Wien aufgefrischt. Unser Opernexperte Richard Schmitz war dabei.

Der gestrige Abend geriet zum rundum stimmigen Erfolg. Die Entscheidung russische Folklore und Romantik nur indoor zu zeigen, wirkt in dieser Realisation durchaus akzeptabel. Die Gefühle und Vorstellungen der einzelnen Figuren gewinnen dadurch an Kontur. Tcherniakov besticht durch seine durchdachte Personenregie. Da stimmt jede Bewegung und Betonung. Der Dichter Lenski wird von den Kleinbürgern am Land von Anfang an nicht ernst genommen; da passt auch dazu, dass er statt im Duell in einem Gerangel mit Onegin sich selbst erschießt. Andererseits wird Onegin im letzten Akt von der hochgestochenen Gesellschaft der Hauptstadt geschnitten und brüskiert. Das entspricht durchaus auch den Intentionen von Alexander Puschkin, dessen Versroman der Oper ja zugrunde liegt. Auch dass Olga Anna Goryachova die tiefe Liebe ihres Lenski nicht zu schätzen weiß, kann man auch im Libretto finden. So bleibt als Lichtgestalt einzig Tatjana und ihre Entwicklung vom schwärmerischen, gehemmten Mädchen zu einer selbstbewussten Fürstin im Fokus der gestrigen Premiere, und das ist auch gut so. Die Australierin Nicole Car nützt die Möglichkeiten, die ihr die Regie gibt zu intensiver Gestaltung. Die Briefszene gerät zum Triumph. Tosender Szenenapplaus. André Schuen ist nicht ganz so fies, wie ihn Puschkin gesehen hat. Er setzt seine schöne Stimme gezielt ein, die Dämonie des Verführers bleibt er schuldig. Bogdan Volkov ist als Lenski angehalten sich mit dem Couplet des Triquet vor der Gesellschaft lächerlich zu machen. Da fällt es schwer, ihm das „Kuda Kuda“ vor der Duellszene abzunehmen, auch wenn er es wunderbar gesungen hat. Dimitri Ivashchenko singt die große Arie des Gremin mit sonorer Stimme. Die übrigen Solisten spielen mit Begeisterung und entsprechen auch stimmlich. Das Staatsopernorchester und der Slowakische Philharmonische Chor liefern einen harmonischen Klangteppich. Der Dirigent Tomáš Hanus sorgt für einen reibungslosen Ablauf, ohne allzuviel eigene Akzente zu setzen.

Ein großer Abend, der zeigt, dass auch Neudeutungen eine andere Sicht und tiefere  Dimensionen ans Licht bringen können. Die konsequent durchdachte Personenführung besticht durch Sorgfalt. Alle verhalten sich wie Menschen in ihrer Typologie. Einfach professionell gemacht. Auffrischungen alter Inszenierungen müssen nicht immer verstaubt sein. Übrig bleibt doch die Sehnsucht nach großen Sängerpersönlichkeiten. Aber wo gibt’s die heute?

Wertnote: 8,8/10 Punkten.

© Staatsoper/Michael Pöhn. Andrè Schuen als Eugen Onegin, Nicole Car als Tatjana.