Rezensionen

Kapitän Nemos Bibliothek.

12. April 2023, 08:20 Uhr

Armin Bardel

Die Neue Oper Wien hat wieder eine zeitgenössisches musikdramatisches Werk ein Jahr nach der Welturaufführung nach Wien gebracht. „Kapitän Nemos Bibliothek“ von Johannes Kalitzke. Unser Opernexperte Richard Schmitz berichtet.

Auf den Anblick von Kapitän Nemos Bibliothek auf seinem Schiff Nautilus hat man gestern Abend vergeblich gewartet. Die kindlichen Versuche aus der grauenhaften Realität in die Traumwelt zu flüchten, kommen nur sehr angedeutet zum Tragen. Im Roman von Per Olov Enquist und damit auch in der Oper geht es um zwei Knaben, die bei der Geburt vertauscht wurden. Was nach einigen Jahren sogar der engstirnigen dörflichen Umgebung auffällt. Daher werden die Knaben ihren Müttern zurückgegeben. Das bedeutet für den Knaben „Ich“ den totalen Verlust des gewohnten Wohlstandes, für den Knaben Johannes sozialen Aufstieg. Daraus ergeben sich naturgemäß Traumata und Identitätskrisen. Gezeigt werden alle gängigen Klischees, vom rechthaberischen Priester über eine geistig Verwirrte in epileptischem Anfall und eine Frau in Wehen bis zur Geburt eines toten Kindes. Bis hin zum Mord unter Kindern. Die Knaben werden von Puppen dargestellt und vom Counter Ray Chenez als Ich und Ewelina Jurga als Johannes – beide stimmlich tadellos - gedoubelt. Claudia Six hat die Puppen gebaut. Elena Suvorova darf beide Mütter, die überhebliche und die narrische singen. Wolfgang Resch singt den Priester und den mitfühlenden Vater von Ich. Misaki Morino singt die Stiefschwester Eva-Lisa bis hin zur Darstellung der Geburt. Hana Ramujkic hat ein Miniaturdorf auf die Bühne gestellt, in dem sich der Regisseur Simon Meusburger austobt.

Es stellt sich die Frage, ob sich der Komponist Johannes Kalitzke und seine Librettistin Julia Hochstenbach nicht zu viel vorgenommen haben. Identitätsverlust, dramatische Familienereignisse und die daraus resultierenden Traumata sind viel zu komplex, um sie in einem Einakter unterzubringen. Die Musik bietet eine wilde Klangvielfalt unter Einbeziehung von Elektronik sowie einer enervierenden Geräuschkulisse. Das ist zwar abwechslungsreich, aber auf die Dauer ermüdend. Enttäuschend der Schluss, der in einem Melodram versickert. Bewundernswert Walter Kobéra und sein amadeus ensemble. Sie behaltenweil die Übersicht. Das Publikum war zufrieden, jubelte den Sängerinnen und Sängern zu und bedachte auch den Komponisten mit Applaus.

Wertnote: 6,2/10 Punkten.