Rezensionen

Monteverdis Poppea.

23. Mai 2021, 08:20 Uhr

Gestern hatte in der Wiener Staatsoper Claudio Monteverdis L`incoronazione di Poppea Premiere. Die Inszenierung von Jan Lauwers war schon bei den Salzburger Festspielen 2018 zu sehen gewesen. Unser Opernliebhaber Richard Schmitz berichtet aus der Wiener Staatsoper:

„Liebe Hörerinnen und Hörer. Sie sehen mich etwas überrascht und vor allem begeistert. Nach der Salzburger Aufführung war ich beeindruckt von der Tatsache, eine 400 Jahre alte Oper gekonnt und kompetent erlebt zu haben. Gestern war das ganz anders. Der Dirigent Pablo Heras-Casado hat für Wien eine neue Fassung erstellt, die ganz auf den Concentus Musicus Wien zugeschnitten war. Gestern war alles lebendiger, dramatischer und daher auch nicht langweilig. Das war Operntheater vom Feinsten.

Die einzelnen Episoden waren klar voneinander abgesetzt und immer pointiert. Kate Lindsey imponierte als Nerone. Sie gab dem teilweise verspielten, teilweise abgrundtief bösen Herrscher Profil, da war rücksichtsloses Vorgehen und brutale Machtausübung spürbar. Slávka Zámečniková war die machtgierigen Poppea mit all ihren Facetten. Das durchtriebene Weib, das nur von Machtgier getrieben wird, ist noch nicht ganz ihre Sache. Das Schlussduett war von berückender Schönheit.

Die Ottavia von Christina Bock erschütterte in ihrem Abschied von Rom. Der Countertenor von Xavier Sabata als ständig unentschlossener Ottone klang manchmal etwas rau, das passte aber immer zum Ausdruck. Vera Lotte Boecker war die unschuldige Drusilla. Der schwarzhäutige William White (!) machte aus dem Tod des Seneca gemeinsam mit seinen drei Famigliaren die einzige Szene mit tiefen Stimmen zu einem Ruhepol. Die komischen Figuren der Amme und der Dienerin sind der damaligen Tradition entsprechend mit Tenören besetzt. Daniel Jenz und Thomas Ebenstein nutzen die Gelegenheit; die Korruptionsszene erheitert. Eigentlich müsste ich alle Solisten, teilweise in mehreren Rollen nennen, doch das würde zu weit führen. Gut waren alle! Nicht nur verlässlich.

Auf der meist leeren, schiefen Bühne tummeln sich eine Fülle von Tänzern und geben den Szenen tieferen Sinn. Es ist eine herausragende Leistung der Gruppe sich einen ganzen Abend in Zeitlupe zu bewegen, in Ohnmacht zu fallen, zu sterben, zu raufen oder einander zu quälen. Auch die tänzerischen Fähigkeiten der Protagonistinnen und Protagonisten wurden ausgiebig ausgenutzt. Was die beständig drehenden Tänzerinnen und Tänzer in der Mitte sollen, hat sich mir auch in Wien nicht erschlossen. Jan Lauwers trug die Verantwortung für Regie, Bühne und Choreographie. Er widerstand der Versuchung dieses eigentlich durchaus gegenwärtige Thema von Macht und Korruption simpel in unsere Zeit zu verlegen, und beließ es bei der Götterwelt und ihrer transzendenten Dimension. Diese zutiefst unmoralische Oper behält daher seine optimistische Hoffnung, dass die Täter schon noch bestraft werden.

Der Concentus Musicus Wien füllte das große Haus, wenn auch bei angehobenen Orchestergraben. Pablo Heras-Casado arbeitete die Feinheiten, der von ihm überarbeiteten Partitur, überzeugend heraus. Da war Liebe am Werk. Es war ein großer Abend. So sollte man alte Werke wiederbeleben. Die Wiener Staatsoper wird es schwer haben, die beiden anderen Monteverdi-Opern in gleicher Qualität zu bieten.“

Wertete auf der Schmitz-Skala: 9,1/10 Punkten.

© Wiener Staatsoper/Michael Pöhn: Camilo Mejía Cortés, Kate Lindsey (Nerone), Slávka Zámečníková (Poppea)