Rezensionen

Musikalische Exzellenz.

29. September 2021, 08:20 Uhr

Gestern hatte an der Wiener Staatsoper „Il barbiere di Siviglia“ von Gioacchino Rossini Premiere. Die Inszenierung von Herbert Fritsch wurde in den Medien mit Vorschusslorbeeren bedacht. Ein Regisseur der weder italienisch noch Notenlesen kann, rief allerdings die Zweifler auf den Plan. Unser Opernexperte Richard Schmitz war dabei.

Erfreulicherweise wurde es gar nicht so arg. Vor allem, weil die musikalische Realisierung exzellent war. Michele Mariotti, der ja aus der Rossini-Stadt Pesaro stammt, verwirklichte seine Vorstellung des Rossiniklanges. Die Sängerinnen und Sänger assistierten ihm mit Hingabe. Juan Diego Flórez sang einen wohltönenden Grafen Almaviva. Im Konzept der Staatsoperndramaturgie ist er die eigentliche Hauptfigur. Deshalb durfte er vor dem Finale noch das Rondo singen. Figaro Etienne Dupuis gestaltete das Largo fulminant. Er eroberte das Publikum im Sturm. Ildar Abdrazakovs Verleumdungsarie kann man sich kaum wirkungsvoller vorstellen. Vasilisa Berzhanskaya ließ als Rosina ihre beeindruckende Mezzostimme strömen, da zeichnet sich eine große Karriere ab. So jagte ein Zwischenapplaus den anderen. Lediglich Paolo Bordigna als Bartolo konnte da nicht ganz mithalten. In der Pause herrschte allgemeine Zufriedenheit. Für Kennerinnen und Kenner der Oper war das Weglassen jeglicher Requisiten zu verkraften; kein Brief, keine Seife beim Rasieren, keine Schlüssel; kein Regen in der Gewitterszene, lediglich im letzten Akt tauchte die Leiter im Hintergrund auf. So war die Handlung für Besucher, die die Oper zum ersten Mal sahen unverständlich, wie sich die Tochter eines Intendanten beklagte. Auch der neben mir sitzende Engländer konnte der Handlung nur mit Hilfe des mitlaufenden Textes folgen. Es war seine erste Oper. Ob er wiederkommen werde, hat er offen gelassen.

Der Regisseur Herbert Fritsch wollte den Sängern Gelegenheit geben, ihre Rollen zu gestalten. Doch außer Abdrazakov und Flórez ist das kaum gelungen. Es wurde gehüpft, gelaufen und gesprungen, da kann man keinen Charakter entwickeln. Auch die aufwendigen Kostüme von Victoria Behr waren eher karikierend und wenig hilfreich. Fritsche hätte den Beitrag des Dirigenten im Programmheft besser beherzigen sollen. Rossini hat die Figuren auch musikalisch fein gezeichnet. Die Bühne war mit Folienbahnen in allen Regenbogenfarben recht variabel. Doch mit fortschreitendem Abend wurde das ständige Bewegen dieser Bahnen fad, vor allem, weil nie ein Zusammenhang mit der Handlung zu erkennen war. Leider war auch die Funktion der ständig sich verrenkenden Ruth Brauer-Kvam nicht durchschaubar. Dem Programm habe ich entnommen, dass sie den Diener Ambrogio darstellt. Warum der abendfüllend auf der Bühne ist, bleibt rätselhaft.

Jetzt hat die Wiener Staatsoper nach der biederen Rennert-Inszenierung einen neuen Barbier. Connaisseurs können sich an guten Gesangsleistungen erfreuen. Neue Freunde des Gesamtkunstwerkes „Oper“ wird man mit  soviel Klamauk kaum gewinnen. Gestern war der Schlussapplaus herzlich – auch für den Regisseur -, aber endenwollend.

Wernote: 8,4/10 Punkten.

PS: radio klassik Stephansdom dankt Opernliebhaber Richard Schmitz. Er hat sich im Dienste seiner Hörerinnen und Hörer zwei Premierenkarten gekauft. Von Seiten der Wiener Staatsoper sind aktuell keine Pressekarten der Premiere für den Opernsender vorgesehen. Das lässt uns bis auf weiteres etwas ratlos zurück. Wir hoffen auf eine Änderung dieser wenig zufriedenstellenden Situation.

© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn