Rezensionen

Netrebkos erste Wiener Tosca.

14. Dezember 2020, 08:20 Uhr

Gestern hat in der Staatsoper das lang erwartete Wiener Debüt von Anna Netrebko als Tosca stattgefunden. Es war eine Aufführung vor leerem Haus.  Der ORF hat dieses Ereignis sowohl in Ö1 als auch auf ORF III übertragen, Unser Opernexperte Richard Schmitz hat sich das angeschaut und angehört.

Die Netrebko war zweifellos ein Ereignis. Sie ist reif für diese Rolle und fügt sich würdig in die Reihe ihrer Vorgängerinnen ein. Ihre Tosca ist weniger der gefeierte Star, mehr die krankhaft eifersüchtige Frau. Auch das Vissi d’arte hätte bei vollem Haus Beifallsstürme ausgelöst.  Mit ihrem edlen Material erfüllt sie die Rolle und gibt ihr eine berührende Dimension. Sie ist auch darstellerisch einsame Klasse. Das kann man von ihrem Ehemann Yusif Eyvazov leider nicht sagen. Er singt einen beachtlichen Cavaradossi; im Fernsehen sieht man seinen ewig gleichen Gesichtsausdruck und wie er Töne produziert. Deshalb beeindruckt er mich in der Radioübertragung mehr. Im Publikum wäre mir das wahrscheinlich gar nicht aufgefallen. Er singt mit beachtlich langem Atem. Den präsentiert er auch oft. Wolfgang Koch ist ein eher biederer Scarpia, mehr schleimig als dämonisch gefährlich. Seine Stimme ist kaum fokussiert und daher nicht durchschlagkräftig. Wolfgang Bankl gibt einen dezent lustigen Mesner. Die übrigen Rollen waren gut besetzt. Bertrand de Billy und das Staatsopernorchester musizierten mir Freude. Das Orchester begrüßte den Dirigenten mit Pultschlagen. Das blieb der einzige Ausdruck der Freude. Die Inszenierung von Margarete Wallmann aus dem Jahre 1958 zeigt noch immer die Ereignisse des Jahres 1800, wie im Libretto vorgesehen. Gute Inszenierungen behalten ihre Qualität auch über Jahrzehnte. Die Abendregie hätte sorgfältiger sein können; dass Toscas Messer nachdem sie Scarpia niedergestochen hat, keine Spur von Blut zeigt, ist vermeidbar. Auch die Personenführung ist schon allzu routiniert.

So wurde der Abend ein großer Erfolg für die Netrebko, Bertrand de Billy und das Orchester. Hoffentlich bald vor Publikum.

Wertnote: 8,5/10 Punkten.

© Wiener Staatsoper, Michael Pöhn