Rezensionen

Parsifal im Gefängnis.

19. April 2021, 08:20 Uhr

radio klassik Stephansdom Opernliebhaber Richard Schmitz konnte Richard Wagners Opus Magnum im Radio und auf ARTE Concert im Live-Streaming verfolgen:

Längst haben wir uns daran gewöhnt, den Parsifal nicht mehr als Bühnenweihefestspiel zu sehen, sondern als eine außergewöhnliche und anspruchsvolle Oper. Deshalb gibt es eine Unzahl von neuen Inszenierungen und Deutungen. So auch jetzt in der Wiener Staatsoper. Der Regisseur Kirill Serebrennikov verlegt die Handlung in ein Gefängnis; wie sollte er auch anders: er wurde in Russland verhaftet und sitzt selber. Die Gralsbruderschaft erhält dadurch eine weitere einengende Dimension. Aggressionen und Raufereien bestimmen das Zusammenleben, in deren Verlauf Parsifal einen Häftling tötet. Dieser ist mit Schwanenflügel tätowiert. Gurnemanz erkennt trotzdem, dass der junge Mann kein Unrechtsbewusstsein hat, dass er ein reiner Tor ist. Und ein solcher sollte doch durch Mitleid wissend, die Gralsritter erlösen.

Der alte geläuterte Parsifal erlebt das Geschehen im Rückblick. Der junge Parsifal wird vom Schauspieler Nikolay Sidorenko überzeugend dargestellt. Kundry ist eine Fotojournalistin und macht sich mit kleinen Geschenken die recht brutalen Gefangenen gewogen. In meinen Augen völlig gelungen, ist die Klingsorszene, die in einer Redaktion spielt. Da buhlen nicht Blumenmädchen um Parsifal sondern Models und Visagistinnen. Das ergibt durchaus Sinn; und dass Kundry Klingsor erschießt, erst recht.

Weniger stringent gelingt der dritte Akt. Da geht die Beziehung zur Mythologie und Religion verloren, wenn der Kelch des Gral per Amazon zugestellt und von den Justizbeamten kontrolliert wird. Die Enthüllung des Grals erfolgt durch Öffnung der Gefängnistore. Die Erlösung ist die Freiheit. Das ist beeindruckend, vor allem als der Erlöser Parsifal allein zurückbleibt. Ein interesssanter Zugang, doch das Christliche scheint dabei verloren zu gehen.

Musiziert wird wunderbar! Philippe Jordan hat sich in seiner Karriere schon am Anfang in Graz an dieses Werk herangewagt. Er arbeitet die Höhepunkte heraus und sorgt für eine sehr klare Deklamation des Textes. Die symphonischen und chorischen Passagen zeigen die harmonischen Intentionen des Komponisten. Georg Zeppenfeld ist ein sympathischer Gurnemanz. Wolfgang Koch ein verlässlicher Klingsor. Ludovic Tézier als Amfortas erregt unser Mitgefühl. Stefan Cerny orgelt den Titurel aus dem off. Jonas Kaufmann beherrscht die Bühne und gestaltet diesen Parsifal hinreißend. Er wird zum Zentrum der Aufführung. Dasselbe gilt auch für Elīna Garanča, deren Interpretation der Kundry viel entschlossener wirkt als andernorts. Der Fachwechsel in das Dramatische ist voll gelungen. Im Ganzen eine beeindruckende Realisation. Ich nehme an, dass die Wirkung in einem vollen Zuschauerraum noch viel stärker sein wird.

Wertnote: 8,9/10 Punkten.

© Wiener Staatsoper, Michael Pöhn: Georg Zeppenfeld (Gurnemanz), Elīna Garanča (Kundry)