Rezensionen

Stallerhof.

18. Februar 2022, 08:20 Uhr

Walter Kobéra brachte an der Neuen Oper Wien gestern Gerd Kührs Oper „Stallerhof“ heraus. Bei diesem zeitgenössischen Werk war radio klassik Stephansdom Opernexperte Richard Schmitz selbstverständlich dabei.

Der junge österreichische Komponist Gerd Kühr wurde von seinem Lehrer Hans Werner Henze auf das Theaterstück „Stallerhof“ von Franz Xaver Kroetz aufmerksam gemacht. Kroetz hat auch das Libretto geschrieben, das dem Theaterstück folgt.

Es geht um das Schicksal eines halbblinden, geistig behinderten Mädchen, das von seinen Eltern unterdrückt und schikaniert wird. Vom alternden Knecht geschwängert, wird sie am Ende doch erwachsen und einigermaßen selbstbewusst.

Die Präsentation der Neuen Oper Wien löst das Werk aus der bäuerlichen Umgebung und erreicht damit eine frappierende Allgemeingültigkeit. Dass geistig behinderte Mädchen vergewaltigt werden, ist leider traurige Realität. Shira Szabady imponiert bei ihrem Debüt als Regisseurin durch gekonnte Personenführung und emotionaler Durchdringung des Dramas. Nikolaus Webern hat in das Semperdepot ein praktikables Stufensujet gebaut. Ob die spiegelgleiche Zuschauertribüne auch von ihm geplant wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Das pausenlose Geschehen kann reibungslos ablaufen.

Musikalisch beginnt Gerd Kühr eher deklamatorisch, steigert sich aber bis zum erschütternden Schluss zu eigenständiger Tonsprache. Nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten lauscht man gebannt der Musik. Daran hat auch Ekaterina Protsenko als Mädchen Beppi großen Anteil. Von der Leseschwäche am Anfang über das Erwachen sexueller Empfindungen bis hin zu Zweifel an Liebe und Treue erscheint alles glaubwürdig. Ihr Kinderliedsolo bekommt diesbezüglich eine innere Bedeutung. James Tolksdorf ist in dieser Inszenierung kein grober Knecht, er darf zeitweise auch durchaus liebevoll sein. Für jemanden, der spätestens in fünf Jahren in Pension gehen will, ist er allerdings noch sehr jung. Man merkt, dass er schon viele größere Rollen gesungen hat. Die Stimme ist schön und markant. Franz Gürtelschmied charakterisiert den Vater Staller gekonnt. Tiefer dringt Anna Clare Hauf in die Rolle der Mutter ein. Wie sie es doch nicht übers Herz bringt ihr Enkelkind abzutreiben, ist großes Theater.

Die Szenen werden immer wieder durch ein Frauenterzett unterbrochen, die die Härte des sechsten Gebots in der Lutherübersetzung in Erinnerung rufen. Hier verwendet Gerd Kühr auch kirchentonale Anklänge. Ekaterina KraskoHannah Fheodoroff und Elisabeth Kirchner genügen allen Ansprüchen der hohen Tessitura.

Dass Walter Kobéra und das amadeus ensemble wien verlässlich zum Erfolg beisteuern, ist schon fast selbstverständlich. Das Publikum freute sich über die Wiederentdeckung einer modernen Oper und feierte auch den Komponisten.

Wertnote: 7,8/10 Punkten

Nach der Premiere durfte Walter Kobéra den bedeutenden Preis der Deutschen Theaterverlage in Empfang nehmen. Die Laudatio war gut recherchiert und zeigte fast alle Verdienste des Intendanten, wurde aber ohne Emotion leider nur abgelesen und geriet zu lang. Kobéra hätte sich Besseres verdient.