Rezensionen

Tosca.

19. Januar 2022, 08:20 Uhr

2008 inszenierte Martin Kušej, nun mehr Burgtheaterdirektor, Igor Strawinskys The Rake’s Progress im Theater an der Wien. Am Ende der Direktion von Roland Geyer stand gestern Giacomo Puccinis Allzeit-Hit Tosca in Kušejs Lesart zur Premiere bereit. Das Publikum war gespannt. Musikchefin Ursula Magnes ebenso.

Tosca. Dazu haben viele Opernfreundinnen und -freunde ähnlich wie bei Carmen oder Aida eine gewisse Vorstellung oder zumindest lieb gewonnene Erinnerungen an vergangene Opernaufführungen, fein sortiert im Karteikästchen des Erlebten. Tja, diese Tosca von Puccini nach dem Drama von Victorien Sardou – was bleibt, wenn der Regisseur die Kirche als Ort, den Palazzo Farnese und die Engelsburg in Rom mit Dauerschnee, einem zentralen Kreuzes- und Schmerzensbaum mit zerstückeltem Opfer samt Marterl, und einen Wohnwagen bespielt? Was bleibt im Stück? Kälte, Gewalt, Eifersucht, Macht, sexuelle Bedrängnis, Religion und das heutige Leben mit Kapitolstürmern, Querdenkern, Polizeigewalt und dazwischen eingequetscht zwei Künstler: der Maler Mario Cavaradossi und die Sängerin Floria Tosca.

Damit ist das Publikum zwei intensive Stunden ohne Pause konfrontiert. Mit der punktgenauen, nie zögerlichen Musik Puccinis ergibt das eine Hochschaubahn der Gefühle und innerer Gedankenwelt. Keiner der drei Protagonisten entkommt seinem Schicksal: Der Maler ermalt keine Freiheit, die Sängerin ersingt keine Liebe und der Polizeichef verfehlt trotz sadistischer Machtausübung  sein Ziel. Ein brutales Kammerspiel, in dem Martin Kušej diese Gewalt mit Versatzstücken wie fliegenden Körperteilen und sehr zupackendem Schauspiel  vor Augen führt.

Dazu braucht es ein Ensemble, das das auch kann! Kristine Opolais ist eine erfahrene Tosca. Sie genießt es sichtlich an ihre Grenzen zu gehen; stimmlich wie darstellerisch. Im Gegensatz zum Original, wird sie am Ende durch die Gräfin Attavanti, dargestellt durch die Schauspielerin Sophie Aujesky, erschossen. Wohl auch mangels Engelsburg, um in den Tiber zu springen… Getötet vom Gift der Eifersucht, das Polizeichef Scarpia geschickt verstreut. Ihr „Vissi d’arte, vissi d’amore“ wird zur verzweifelten Anklage zwischen Scarpia und Gott. Der junge chilenische Tenor Jonathan Tetelman lockte wohl einige prominente Operndirektoren ins Theater an der Wien. So kraftvoll, geradezu strotzend hat man „Recondita armonia“ schon lange nicht mehr gehört. Und im Wechselspiel mit dem Soloklarinettisten des RSO Wien gelang auch „E lucevan le stelle“ ausgesungen und stark. Kein Hauch der Erinnerung – vielmehr Höhe und Kraft in der Tenorstimme wie es die Rolle verlangt.

Gábor Bretz unschuldig schick elegant in weiß gekleidet sang einen zutiefst unsympathischen, heimtückischen Polizeichef Scarpia. Eine tolle Leistung. Marc Albrecht hat das Dirigat in der Probenarbeit relativ spät vom erkrankten Ingo Metzmacher übernommen. Da ist in den fünf Folgevorstellungen sicher noch einiges an musikalischen Feinheiten drin. Die Schnellkraft der Partitur Puccinis ist gegeben. Sie schrammt an genialer Filmmusik und weist damit anno 1900 weit in die Zukunft. Das Publikum beklatschte die Sänger und Musiker. Gestärktes Buh für Martin Kušej. Fazit: unbedingt anschauen.

© Monika Rittershaus/TAW: Kristine Opolais (Floria Tosca), Jonathan Tetelman (Mario Cavaradossi), Sophie Aujesky (Gräfin Attavanti)