Rezensionen

Tristan Experiment.

27. Mai 2021, 08:20 Uhr

Nach 7 Monaten durfte das Theater an der Wien gestern Abend in der Wiener Kammeroper wieder vor Publikum spielen. Covid geschuldet mit Abstand besetzt, war der Abend ausverkauft. Das Publikum feierte das Regiedebüt von Günther Groissböck. Er wagt das Tristan Experiment und gewinnt! Gemeinsam mit Dirigent Hartmut Keil wurde eine eigene Fassung erstellt, arrangiert für Kammerorchester von Matthias Wegele. Aus 4 mach 3 Stunden – Erkenntnis des Abends: Oper erleben geht nur im echten Operneben! Musikchefin Ursula Magnes berichtet:

Ein Versuch stößt die Handlung an: zwei Probanden eines Experiments. Einer Frau und einem Mann werden zwei Gegenstände angeboten. Ein Tablet und eine Schreibfeder. Sie wählt das Tablet und versinkt in den Möglichkeiten der virtuellen Welt, landet schnell bei Isolde. Er nimmt die Schreibfeder und rauscht sich zu Tristan. Die Geschichte um das Berühren und die Frage, wo es begann, geht noch weiter. Richard Wagner und Mathilde Wesendonck treten in Erscheinung. Der Gesamtkunstwerker und seine Schweizer Mäzenin und Muse. Selbst am Ende, nach dem so genannten Liebestod, entschwebt ihr die Feder. Es soll nicht sein, in diesem Leben. Bleibt die Musik von Richard Wagner. Ein ständiges Aufwallen, Aufstauen, wenn schon, in sich selbst auflösend. Isoldes Wut am Anfang, in der sinkenden Nacht der Liebe, in Tristans Fieberwahn, König Markes starrem Beharren und dem offenen Schluss. Eine Auflösung, eine Erlösung gibt es nicht. Das vermittelt sich auch im klein besetzten Wiener Kammerorchester wunderbar. Gestern ist mir durch die Reduktion der Stimmen aufgefallen, wie viel und oft im ersten Aufzug in den Orchesterstimmen geseufzt wird.

Der kluge Strich führt schnell zur Liebesnacht. Das Videodesign von Philipp Batereau bringt die Betrachterin zu den Schauplätzen. Das Fließen seiner Bilder und Designs ist ganz im Verlauf der Partitur eingebettet. Kristiane Kaiser singt eine wunderbare Isolde und Norbert Ernst gibt den Tristan ebenso kämpferisch. Juliette Mars steckt in einer androgynen Brangänen-Figur, Kristján Jóhannesson gab Kurwenal und Melot. Günther Groissböck ist als Regisseur und König Marke Zentrum des Abends. Sein Tristan Experiment ist voll und ganz aufgegangen. Die Wagner und Bayreuth-Erfahrung von Dirigent Hartmut Keil verwandelt die Wiener Kammeroper in ein tönendes Klangaquarium. (um)

© Herwig Prammer: Kristiane Kaiser (Isolde), Norbert Ernst (Tristan)