Rezensionen

Von der Liebe Tod.

30. September 2022, 08:20 Uhr

Wiener Staatsoper, Gustav Mahler "Das klagende Lied"
Wiener Staatsoper, Gustav Mahler "Kindertotenlieder"

Gestern hatte an der Wiener Staatsoper die musikalische Kollage „Von der Liebe Tod“ mit Musik von Gustav Mahler Premiere. Unser Opernexperte Richard Schmitz berichtet.

Die Zusammenführung zweier Werke von Gustav Mahler zu einem szenischen Ganzen ist ein spannendes Unterfangen. Zum einen, weil „Das klagende Lied“ ein Geniestreich des 19-jährigen ist und die „Kindertotenlieder“ ein Alterswerk. Zum anderen, weil beide für den Konzertsaal konzipiert wurden und nicht für die Bühne. Das Vorhaben ist trotzdem gelungen, und zwar in fulminanter Weise. Das ist vor allem dem Regisseur Calixto Bieito zu verdanken. Ohne Änderungen im musikalischen Ablauf wird das Märchen vom Brudermord, der sich durch eine singende Flöte aufklärt, in die digitale Zeit inklusive Glasfaser gestellt. So wird die befürchtete Banalität vermieden. Die Verstrickung des gegenwärtigen Menschen in die digitale Welt ergibt großartige Bildwirkungen. Auch der Übergang zu den „Kindertotenliedern“ gelingt bruchlos. Wenngleich die erschütternde Wirkung dieses Zyklus ohne Visualisierung größer ist. Die zeichnenden Kinder lenken allzusehr von der Interpretation durch Florian Boesch und Tanja Ariane Baumgartner ab. Am Schluss eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu wecken, gibt auch Sinn.

Im Klagenden Lied ergänzen neben Florian Boesch und Tanja Ariane Baumgartner noch Vera Lotte Boecker und Daniel Jenz das Solistenquartett. Auch die Knaben Johannes Pietsch und Jonathan Merd singen das verräterische Lied der Flöte eindrucksvoll. Chor, Chorsolisten und das Orchester der Wiener Staatsoper zeigen, dass das Erbe ihres Direktors Gustav Mahler noch immer im Hause lebt. Lorenzo Viotti hebt das Emphatische der Musik bestens heraus, auch wenn man sich manchmal ein zügigeres Tempo und in den Kindertotenliedern mehr Herausarbeiten der entscheidenden Passagen gewünscht hätte.   

Die Wiener Staatsoper hat ihrem ehemaligen Direktor einen großen Abend gewidmet. Der weltbekannte Wiener Liedinterpret Florian Boesch singt endlich im Haus. Herz, was willst du mehr?

Das Publikum war begeistert. Dass Calixto Bieito Buhrufe erhielt, habe ich nicht verstanden. Sowohl die Zusammenfügung der beiden Stücke als auch der intellektuelle Hintergrund der Inszenierung sind eine große Leistung. Manchmal habe ich den Verdacht, dass Buhrufer bestellt werden, damit nachher von einem Skandal gesprochen werden kann. Es war ein bedeutender Abend mit vielen jungen Zuhörern. Unbedingt hingehen.

Wertnote: 8,8/10 Punkten